Das Projekt thematisiert den Genozid an Roma durch deutsche Soldaten bzw. Polizisten während des Zweiten Weltkrieges in der besetzten Ukraine.
Sowohl in der ukrainischen als auch der deutschen Gesellschaft ist die Kenntnis vom Genozid an ukrainischen (sowjetischen) Roma kaum präsent. In Deutschland ist zwar mittlerweile die Verfolgung deutscher Sinti und Roma während des Zweiten Weltkrieges aus dem Vergessen geholt worden, aber über die Geschehnisse in der besetzten Sowjetunion ist kaum etwas bekannt. Wenn überhaupt, wird angenommen, dort seien lediglich Juden systematisch ermordet worden, Roma aber nur „zufälligerweise“. Damit fehlt in der deutschen Erinnerungskultur ein zentraler Aspekt des NS-Genozids.
In der Ukraine wirkt bis heute die sowjetische Leiterzählung weiter, die zivile Opfer meist als „friedliche sowjetische Bürger“ zusammengefasst hat, ohne auf die Besonderheiten der verschiedenen Opfergruppen einzugehen. Während, vor allem durch die Aufklärungsarbeit jüdischer Akteure, der Holocaust an Juden zwar bekannt ist, haben nur wenige Ukrainer Kenntnis davon, dass auch Angehörige der Roma-Minderheit Opfer eines Völkermordes geworden sind.
Das Projekt beinhaltet mehrere Schritte: Zunächst die Sammlung von Aussagen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen – insbesondere von Überlebenden. Im Rahmen der im Frühjahr 2018 durchgeführten Recherche konnten wir über 50 Interviews mit Überlebenden führen. Es wurde deutlich: Innerhalb der Familien der Betroffenen war das Erlebnis des Genozids immer präsent. Die Roma haben nie darüber geschwiegen – aber die Mehrheitsgesellschaft hat ihnen nicht zugehört.
In einem weiteren Schritt – der im September 2018 vollzogen wurde – führten wir eine Exkursion mit TeilnehmerInnen aus der Ukraine und Deutschland durch, überwiegend von geschichtspolitisch und menschenrechtlich engagierten AktivistInnen. Unter ihnen waren sowohl Roma als auch Nicht-Roma. Sie reisten zehn Tage durch die Ukraine und begegneten Überlebenden bzw. ZeitzeugInnen, aber auch WissenschaftlerInnen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich der Erinnerung widmen, aber auch gegen Diskriminierung kämpfen (insb. Roma-Selbstorganisationen).
Im Ergebnis der Recherche und der Exkursion wird eine Ausstellung erarbeitet, die an den Genozid an den ukrainischen Roma erinnert. Im Vordergrund stehen auch die Aussagen der Überlebenden. Sie werden kontextualisiert durch die Darstellung von Motiven und Vorgehensweisen der Täter und der Wahrnehmungen, Reaktionen und Verhaltensoptionen der ortsansässigen ukrainischen (Nicht-Roma) Bevölkerung. Es wird keine „Opfergeschichte“: Zahlreiche Roma haben uns über den Widerstand erzählt, den sie bzw. ihre Vorfahren in den Reihen der Partisanen oder der Roten Armee oder im Untergrund geleistet haben.
Es soll nicht so sein, dass Nicht-Roma über Roma reden. Zu den Zielen des Projektes – in einem Arbeitsschritt, der im Sommer 2019 vollzogen wird – gehört es, die Angehörigen der Überlebenden zu motivieren, selbst zu Akteuren der Erinnerungsarbeit zu werden.
Gemeinsam mit ihnen werden im Laufe eines mehrtägigen Seminars Methoden herausgearbeitet, wie ihr Wissen um die familiäre Verfolgungsgeschichte (aber auch der Geschichte des Widerstandes) in den Kontext der gesamtgesellschaftlichen Erinnerung an den Genozid eingebettet und der Mehrheitsgesellschaft vermittelt werden kann
Durch Vernetzung mit relevanten Akteuren im Bildungsbereich und weiteren Multiplikatoren sollen die Kinder und Enkel der Deportierten, aber auch interessierte Engagierte von Roma-NGOs, eine Basis erhalten, die es ihnen erlaubt, einen aktiven Part in der Vermittlung des Verfolgungsgeschehens und seiner bis heute spürbaren Nachwirkungen für die Roma der Ukraine gegenüber der Mehrheitsgesellschaft wahrzunehmen.
Ein Instrument hierzu wird die Ausstellung sein. Wir beabsichtigen bis Frühsommer 2020 die Durchführung von mindestens fünf Ausstellungseröffnungen in verschiedenen Städten der Ukraine – wobei die Angehörigen einen zentralen Part einnehmen werden. Jede Eröffnung wird begleitet von einem Workshop für LehrerInnen und MitarbeiterInnen menschenrechtlich engagierter NGOs.
Der Ansatz, die Angehörigen der zweiten und dritten Generation zu motivieren, zu Akteuren der eigenen Erinnerungspolitik gegenüber der Mehrheitsgesellschaft zu werden, wird parallel dazu in einem gleichzeitig in Rumänien betriebenen Projekt durchgeführt.