Rom:nja in Belarus heute

Diskriminierung ist an der Tagesordnung

Die Belarussische Roma-Diaspora ist eine landesweite Selbstorganisation von Rom:nja, die in zahlreichen Städten vertreten ist.
Die Belarussische Roma-Diaspora ist eine landesweite Selbstorganisation von Rom:nja, die in zahlreichen Städten vertreten ist.

Selbstorganisationen schätzen die Zahl der in Belarus lebenden Rom:nja aktuell auf ca. 60.000. Die Situation der Mehrheit der Menschen ist geprägt von Diskriminierungen.

Soziale Situation

»Die wirtschaftliche Situation der Roma verschlechterte sich 1991 [Auflösung der UdSSR, Anm. Projektteam] dramatisch, die Arbeitsbedingungen wurden schlechter, vor allem wurde es schwierig, Arbeitsverträge zu verlängern. Roma waren damals am stärksten betroffen.«
(Alexandr Fomitsch Jewsejenko, Helsinki-Komitee Gomel)

Auch heute noch ist die Mehrheit der Rom:nja ohne feste Arbeitsverträge. Arbeitgeber weigern sich häufig, Rom:nja einzustellen. Bei Vorstellungsgesprächen sind die Stellen plötzlich schon vergeben, wenn ein Mensch mit vermeintlichem Rom:nja-Hintergrund auftaucht. Dies führt dazu, das viele Rom:nja in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen werden. Viele gehen auch zur temporären Arbeit nach Russland oder ziehen in die Großstädte, wo es eher Verdienstmöglichkeiten auf dem inoffiziellen Arbeitsmarkt gibt.


»Viele Roma wohnen in Häusern, die sie von Ihren Eltern oder Großeltern geerbt haben. Meistens haben sie aber keine Papiere mehr für diese Häuser. Ihr Eigentum ist damit nicht geschützt. […] Lukaschenko hat eine Verordnung erlassen, die besagt, dass baufällige Häuser abgerissen werden sollen, die das »Ansehen einer Stadt oder eines Dorfes verschandeln«. Das betrifft häufig arme Leute und damit vor allem Roma-Familien. Sie haben kein Geld und teilweise sind ihre Häuser in einem sehr schlechten Zustand. […] Es ist vorgekommen, dass Roma […] nach Hause kamen und ihr Haus war einfach abgerissen. Eine andere Wohnung oder eine Entschädigung erhalten sie nicht.«

Alexandr Fomitsch Jewsejenko, Helsinki-Komitee Gomel


Bildung

Nach einer Untersuchung der Belarussischen Roma-Diaspora und des Vereins »Roma-Gemeinde Aschmjani« haben nur 17 Prozent der Rom:nja in Belarus eine höhere Schulbildung oder eine höhere Ausbildung, wohingegen 92,2 Prozent der belarussischen Bevölkerung mindestens einen Sekundarschulabschluss haben. Viele haben dadurch große Schwierigkeiten einen angemessenen Lebensunterhalt zu verdienen und sind oft nicht in der Lage, ihre Rechte wahrzunehmen.

Wir haben von Rom:nja gehört, dass Versuche, gegen offensichtliche Diskriminierungen in der Schule zu demonstrieren, von staatlichen Stellen unterbunden wurden.

Olga Iwanowna Netschajewa
Olga Iwanowna Netschajewa vom Verein Romano Drom im Gespräch mit einer Teilnehmerin der Projektreise, September 2019, Gomel.

Kriminalisierung

Diskriminierung und Racial Profiling von Rom:nja durch Behörden und Polizei sind in Belarus an der Tagesordnung. Immer wieder berichteten uns Betroffene von willkürlichen Personenkontrollen, Abnahme von Fingerabdrücke und ähnlichen Schikanen.


»Aksana, eine Romnja aus der Stadt Sluck, sagte gegenüber der Menschenrechtsorganisation Wjasna, dass die Minderheit nirgendwo willkommen sei. […] Sie berichtet von einer Ausweiskontrolle an einem Bahnhof: ›Es war peinlich. Es waren noch andere Leute auf dem Bahnsteig, aber der Polizeibeamte wählte mich aus. Er sagte, es sei nur ein Befehl. Er kopierte meine Ausweisdaten in sein Notizbuch und ging weg. Dann kam er zurück und holte sein Handy heraus, um mich zu fotografieren. Und er sagte: ›Gott sei Dank haben Sie Ihren Enkel bei sich, sonst müssten Sie jetzt zur Polizeiwache mitkommen.«

(The life of the Belarusian Roma: Unvarnished truth)


Laut Dmitrij Tschernych, stellvertretender Vorsitzender des Belarussischen Helsinki-Komitees, gibt es spezielle Anweisungen für Beamte des Innenministeriums, zur Inhaftierung von Personen mit Rom:nja Hintergrund. So ist die Zahl der Rom:nja in den Gefängnissen von Belarus überdurchschnittlich hoch.

Diese Kriminalisierung spiegelt sich auch in der Berichterstattung in der Presse wieder.

»Besondere Aufmerksamkeit sollte der Art und Weise geschenkt werden, in der die staatlichen Medien in Belarus über solche Ereignisse berichten. Sie verwenden oft Hassreden, Stigmatisierungen, was zu Fremdenfeindlichkeit und diskriminierendem Verhalten in der Gesellschaft führt, sowie die Bildung sehr negativer Einschätzungen gegenüber den Vertretern der gesamten nationalen Roma-Minderheit in unserem Land.«
(Andrej Paluda, Kampagne gegen die Todesstrafe)

Selbstorganisationen

In Belarus gibt es mehrere Rom:nja-Verbände und Selbstorganisationen, die sich im Bereich der Bildungsarbeit, der sozialen Betreuung, kulturellen Tätigkeit und Arbeitsvermittlung engagieren. In den letzten Jahren gibt es auch mehr Verbindungen und aktive Zusammenarbeit mit internationalen Verbänden z.B. der IRU (International Romani Union). In unserem Projekt arbeiteten wir mit der auf nationaler Ebene wirkenden Belarussischen Roma-Diaspora und dem im Raum Gomel wirkenden Verein »Romano Drom« zusammen.

Programm zur Ausbildung von Mediator:innen
Zu den Projekten der Belarussischen Roma-Diaspora gehörte auch ein Programm zur Ausbildung von Mediator:innen für die Kommunikation zwischen lokalen Roma-Gemeinschaften und Behörden sowie Medien. In der Mitte der Vizevorsitzende der Roma-Diaspora, Artur Gomonow, bei einem »Runden Tisch gesellschaftlicher Roma-Mediatoren«. Quelle: Belarussische Roma-Diaspora.

Massenrazzien im Mai 2019 in Mogiljew

Im Mai 2019 wurden Hunderte Rom:nja im ganzen Land festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt, Dutzende von Männern mussten mehrere Tage im Gefängnis verbringen. Anlass dafür war der gewalt- same Tod eines Polizisten, für den vage dunkelhäutige Menschen verantwortlich gemacht worden waren. Die Festnahmen erfolgten allein aufgrund der Zugehörig- keit zur Minderheit der Rom:nja, ohne konkrete Verdachtslage. Nach einigen Tagen ergab die Unter- suchung, dass der Polizist Selbstmord begangen hatte. In der belarussischen Öffentlichkeit, auch in »offiziellen« Medien, wurde dieser Fall von Racial Profiling überwiegend als unverhältnismäßig kritisiert. Regierungsvertreter entschuldigten sich dafür. Die Staatsanwaltschaft erklärte dennoch, es liege kein Fall von Machtmissbrauch vor.