Von Janina Zimmermann, Göttingen
In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden die noch verbliebenen 4 300 Rom:nja und Sinti:zze des Konzentrationslagers Auschwitz Birkenau von den Nationalsozialisten ermordet. Seit 2015 ist der 2. August vom Europäischen Parlament als „Europäischer Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma“ anerkannt. Im Rahmen dieses Gedenktages reisten wir zusammen mit der Belarusischen Roma-Diaspora nach Krakau, um hier der Gedenkveranstaltung beizuwohnen.
Das inhaltliche Programm unserer Reise startete am 31. Juli mit einer Führung über das Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz I und Auschwitz-Birkenau (II).
Auf dem Gelände Auschwitz I sind bis heute viele Gebäude, die sogenannten Blöcke, erhalten, in denen sich Informationen sowie verschiedene thematische Ausstellungen befinden. Unsere Tour beschränkte sich in erster Linie auf einen allgemeinen Überblick. In den Blöcken wurden die Informationen, neben den Ausführungen des Tourguides, in vor allem visuell vermittelt: Es werden viele Fotografien gezeigt, aber auch Gegenstände, die die Deutschen den verfolgten Menschen bei ihrer Ankunft in Auschwitz abnahmen. Die Berge an Schuhen, Brillen und Töpfen sollen eine Idee des Ausmaßes des Völkermordes vermitteln. Einzelne Räume zeigen, wie diese unter den Nationalsozialisten ausgesehen haben. So wurde beispielsweise das Zimmer der sogenannten Barackenältesten in ihrer Einrichtung gezeigt.
Auf dem Gelände von Auschwitz-Birkenau sind weit weniger Gebäude erhalten. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass hier hölzerne Baracken genutzt wurden, statt wie in Auschwitz I alte steinerne Kasernengebäude. Lediglich die Schornsteine, welche ausschließlich zur Illusion einer beheizten Baracke dienten, sind noch vorhanden. Am Rand des Geländes sind Gedenksteine in verschiedenen Sprachen aufgeführt. In unmittelbarer Nähe hierzu die Trümmer der Krematorien. Abschließend wurde uns eine Baracke gezeigt, in der ausschließlich Kinder inhaftiert waren.
Man kennt die Zahlen rund um das Vernichtungslager Auschwitz. Wie viele Menschen ungefähr ermordet wurden, wie viele hierher deportiert wurden und inhaftiert waren. Man liest Zeitzeugenberichte, hat vielleicht einmal die Möglichkeit einem Zeitzeugen zu begegnen und die Geschichte dieser Person zu hören. Aber als ich die Weitläufigkeit dieser Gelände gesehen habe, die Massen an Gegenständen die dort zu sehen sind, hatte ich das Gefühl, dass ich den Umfang der Zahlen verstehe.
Anlässlich des Gedenktages fand in den Räumlichkeiten der Jagiellonen-Universität Krakau am Abend eine Eröffnungsveranstaltung zweier Ausstellungen statt.
Ebenfalls in der Universität fand am darauf folgenden Tag eine Konferenz unter dem Titel „Mein Zeugnis ist für junge Menschen“ statt. Nach einer allgemeinen Eröffnungsrede gab es zunächst ein Panel rund um die Frage, wie in Zukunft mit dem Schicksal der ermordeten Sinti und Roma und den Überlebenden umgegangen werden soll. Anschließend gab es diverse Veranstaltungen ebenfalls zu der Frage wie in Zukunft mit der Erinnerung an den Genozid an den Sinti und Roma umgegangen werden soll und welche Rolle die Zeitzeugen dabei spielen. Aber auch zu Themen, wie neue Strategien gegen Antiziganismus und dem Zusammenspiel von der Erinnerung an den Genozid, Menschenrechte und den Kampf gegen Antiziganismus wurden Panels abgehalten.
Ein Teil der Gruppe nahm am Nachmittag zudem an einer Tour durch das jüdische Viertel und das ehemalige jüdische Ghetto teil. Startpunkt war hierbei die Stara Synagoga. Vorbei an dem Jan Karski Denkmal und dem jüdischen Friedhof wurden wir zum ehemaligen jüdischen Ghetto geführt. Dort erklärte der Tourguide, wie in Krakau an das jüdische Ghetto erinnert wird. Informationstafeln machen an ausgewählten Gebäuden auf die damalige Funktion aufmerksam. Am Platz der Ghettohelden endete unsere Tour.
Am nachfolgenden Tag, dem 02. August, durfte ein Teil der Gruppe an der Jugendzeremonie im Rahmen des Dikh He Na Bister (https://2august.eu) in Auschwitz-Birkenau teilnehmen. Im Anschluss daran fand die Zeremonie im Zuge des Gedenktages statt. Neben Zeitzeug:innen, kamen verschiedene Vertreter und vor allem Politiker:innen zu Wort. Die Rede der deutschen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sorgte dabei bei einigen Teilnehmer:innen unserer Gruppe für Unmut. Zwar würdigte sie das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin, erwähnt jedoch nicht die bevorstehende schwerwiegende Beschädigung aufgrund des S-Bahnbaus.
Nachdem am folgenden Tag die Reise von Krakau nach Berlin anstand, nahmen wir am 04.08 an einem Workshop zum Thema „Oral History“ teil. Dabei lag der Fokus auf den Fragen, was bei der Durchführung von Interviews beachtet werden muss und wie man im Zeitzeugeninterview mit bestimmten Situationen umgeht, etwa wenn der interviewten Person Daten entfallen.
Abgerundet wurde unser Aufenthalt in Berlin dann mit einem Workshop zum Thema „Digital Story Telling/ Holocaust Education“. Welche Möglichkeiten es in der Vermittlung von Geschichte und dem zur Verfügung stellen von Materialien gibt, wurde hier an diversen Beispielen gezeigt. Anschließend konnten an einer praktischen Übung bereits erste Ideen für die Umsetzung von Themen unserer Wahl gesucht werden.
Der letzte Tag unserer Reise endete für uns mit einem Besuch bei RomaniPhen (https://www.romnja-power.de), einer feministischen Romn:ja-Organisation in Berlin. Hier gab uns Isidora Randjelović – Projektmitarbeiterin bei RomaniPhen – zunächst einen Überblick über ihre Bildungsarbeit und Aktivismus, bevor wir die Möglichkeit eines Gespräches mit Anita Awosusi bekamen. Sie erzählte uns in diesem Zuge zum einen die Geschichte ihres Vaters, welcher im Nationalsozialismus verfolgt wurde. Zum anderen gab sie uns einen Einblick in ihre bisherigen Tätigkeiten und Aktivismus.
Abschließend kann ich sagen, dass ich viele neue Eindrücke und Erkenntnisse gewinnen konnte. Orte, wie Auschwitz zu sehen, vermittelt etwas, was Texte nicht können. Und letztere lese ich nach dieser Reise mit einem anderen Blick. Auch wenn man nach einem Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz nicht alles gesehen haben kann, hat es mich im Umgang mit der Geschichte dieses Ortes sehr bereichert.
Während der Konferenz hatte ich nicht nur die Möglichkeit, Zeitzeugen und ihre Nachfahren zu hören, was immer ein prägendes Erlebnis ist. Viel mehr konnte ich, durch die hier geführten Debatten, Perspektivdarlegungen und den regen Austausch, meinen Kenntnisstand erweitern und viele neue Impulse mitnehmen.
Um die neuen Eindrücke und Informationen gut einordnen zu können, mit diesen weiter zu arbeiten und sie zu verbreiten, scheinen mir Workshops, wie jene, die wir in Berlin besuchen durften, essentiell. Worauf ist bei Informations- und Materialerhebung, aber auch dem Arbeiten mit diesen zu achten? Wie kann ich die Erkenntnisse weitervermitteln? Diese Fragen und ihre Antworten bargen auch neue Impulse, bei einigen konkrete Ideen und den Raum, diese in unserer Gruppe zu besprechen.