Am 28. Oktober 2024 trafen sich Projektpartner:innen aus Russland, Belarus und Deutschland zu der Online-Konferenz „Ignorierter Genozid“ an den Rom*nja in Russland und Belarus während der deutschen Besatzungsherrschaft. Zugeschaltet waren auch zwei Vertreter von Roma-Selbstorganisationen in Litauen und Polen.
Im ersten Teil der Konferenz berichteten die russischen Projekpartner von ihren Erfahrungen mit den Zeitzeug*inneninterviews, die sie im Sommer diesen Jahres durchgeführt hatten. Mithilfe von lokalen, zivilgesellschaftlichen Rom:nja-Aktivist:innen konnte der Kontakt zu verschiedenen Zeitzeug:innen und ihren Angehörigen in den Regionen Moskau, St. Petersburg, Smolensk, Pskov und Novgorod hergestellt werden. Die Zeitzeug:inneninterviews wurden mithilfe einer Vertrauensperson aus der Belarusischen Roma-Diaspora intensiv vorbereitet. In den Interviews wurden verschiedene Dimensionen der Gewaltverbrechen der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft ebenso wie das Gedenken und die Erinnerung an diese durch die Zeitzeug:innen thematisiert.
Die russischen und belarusischen Projektpartner berichteten, dass die Reaktionen der russischen Interviewpartner:innen vergleichsweise verhalten waren. Viele äußerten Bedenken, vor einer Kamera zu sprechen. Dadurch erklärt sich vermutlich auch, dass die Interviews deutlich kürzer sind als vergleichbare Interviews, die im Rahmen unserer Projekte in den letzten Jahren in anderen Ländern geführt worden sind. In der Diskussion wurden mögliche Gründe für die Bedenken der russischen Interviewpartner:innen erörtert. Deutlich wurde, dass sich das Zeitfenster für solche Interviews schließt.
Die entstanden Video- und Tonaufnahmen bilden die Grundlage für die Erarbeitung einer Ausstellung zum Genozid an den Rom*nja auf dem Gebiet der ehemaligen russischen Sowjetrepublik. Diese Ausstellung wird am 30.11.2024 im Moskauer Romen-Theater erstmals der Öffentlichkeit gezeigt. Daran werden auch Teilnehmer:innen des belarusischen und (voraussichtlich) deutschen Teams teilnehmen.
Der zweite Teil der Konferenz zu Perspektiven der Erinnerung begann mit einem Input eines deutschen Teammitglieds zu den Grundzügen der Erinnerungspolitik zum Genozid an den Rom*nja in Deutschland. Es folgte eine Diskussion der Erinnerungspolitik in Belarus und in Russland zu den Unterschieden und aktuellen Trends und Perspektiven auf die Zukunft. Ein Projektpartner der Rom:nja-Diaspora in Belarus berichtet von den positiven Effekten der Ausstellung in Belarus auf die Dominanzgesellschaft. Das historische Schicksal der Rom*nja und die Thematisierung in der belarusischen Öffentlichkeit würden zu einem Rückgang der negativen Einstellungen führen und ließen das Interesse für die aktuelle Situation der Rom:nja-Communities in Belarus wachsen. Diese Entwicklung erhoffen sich alle Konferenzteilnehmer:innen auch in Hinblick auf die russische Ausstellung. Generell war die Einschätzung, dass die geschichtspolitischen Entwicklungen dort komplizierter sind und man sich dem Thema öffentlich „langsamer“ annähern müsse als in Belarus oder gar in der Ukraine.
Im letzten Teil fand ein Austausch zu den weiteren Planungen für das nächste Jahr statt. Angestrebt werden weitere Ausstellungseröffnungen in Russland, Belarus und Deutschland. Außerdem ist eine Kooperation zwischen belarusischen, polnischen und deutschen Partnerorganisationen im Rahmen eines Besuches in Krakow geplant. Die russischen und belarusischen Partner streben eine Ausweitung ihrer Kontakte nach Litauen an.
(Text von Paulina, red. bearbeitet)