Grigorij Pawlowitsch Gorbunow, 1956. Gomel

„Meine Großtante wurde als ‚Russin‘ angesehen und gab meinen Vater als ihr eigenes Kind aus. Alle anderen wurden erschossen.“

Grigorij Pawlowitsch Gorbunow

Als ich klein war, erzählte die Schwester meiner Großmutter viel über die Ereignisse des Jahres 1942. Sie hieß Ulyana Artyomovna Ivanova. Meine Vorfahren lebten nicht nomadisch. Sie waren Bauern und lebten in ihren eigenen Häusern. Das war im Brjansker Gebiet, im Dorf Koschani. Am Anfang, als die Deutschen noch im Vormarsch auf Moskau waren, taten sie den Roma nichts an.

Aber im Frühling 1942, noch vor Ostern, kam plötzlich ein Befehl: Alle Roma wurden gefangengenommen und sollten zu Fuß nach Klintsi gehen. Das war ein Bezirkszentrum. Dort lebte meine Oma mit ihrem Mann und ihren Kindern. Sie hatte außerdem fünf Brüder und zwei Schwestern. Die deutschen haben etwa 60 bis 70 Familien versammelt, vielleicht auch mehr. Sie mussten die ganze Strecke zu Fuß gehen, 60 bis 70 Kilometer. Außer Roma waren auch andere Leute dabei. Meine Großtante sagte, es waren Russen.

In Klintsi wurden die Leute vor einer Grube aufgestellt, die man dort gegraben hatte. Sie sollten dort erschossen werden. Auch die Schwester meiner Oma stand dort an der Grube. Sie sah allerdings mehr wie eine russische Frau aus. Den Roma ähnelte sie äußerlich überhaupt nicht. Und als die Polizisten die Reihe abgingen, sagten sie zu ihr: „Uljana Artjomowna, nehmen Sie ihre Kinder und gehen Sie weg. Sie sie sind doch eine Russin.“

Sie nahm aber nicht nur ihre vier eigenen Kinder mit. Ihre Schwester, also meine Großmutter, stand hinter ihr, und sie bat sie, auch ihr Kind mitzunehmen. Das war mein Vater, der damals noch sehr klein war und auch nicht wie ein Rom aussah. Sie hat ihn nach vorne geschubst, zu meiner Großtante. Sie sind am Leben geblieben. Die anderen wurden erschossen. Meine Großmutter, ihr Mann, ihre Geschwister…

Lange nach dem Krieg habe ich dieses Dorf besucht, in dem mein Vater wohnte, Koschani. Ich habe ein paar Dorfbewohner gefragt, ob sie etwas über dieses Ereignis wissen. Und sie erzählten mir: Ja, früher hätten Roma bei ihnen gelebt. Und 1942 hätte eine Roma-Familie ein russisches Mädchen entführt. Es stellte sich heraus, dass dieses Mädchen meine Großtante war. In Klintsi steht heute ein Denkmal für die Menschen, die dort erschossen wurden. Dort sind auch viele meiner Verwandten begraben. Ich würde mir wünschen, dass dort die Namen der Ermordeten geschrieben wären.