»Wir flüchteten in den Wald, zu den Partisanen«

Wasilij Iwanowitsch Jewdokimow, geb. 1939

Der Völkermord an den Rom:nja vollzog sich oftmals zeitlich versetzt im Anschluss an die Ermordung der jüdischen Bevölkerung, wie auch aus den Erinnerungen von Wasilij Iwanowitsch hervorgeht. Er berichtet zudem, wie seine Mutter als Kundschafterin für die Partisanen arbeitete, und wie die Dorfgemeinschaften darauf reagierten.

Der Völkermord an den Rom:nja vollzog sich oftmals zeitlich versetzt im Anschluss an die Ermordung der jüdischen Bevölkerung

Wir lebten im Dorf Krywsk, in der Oblast Gomel. Mein Vater arbeitete in der Kolchose und handelte mit Pferden. Als die Deutschen in Gomel einmarschierten, forderten sie, dass alle getauft werden sollten. Wer nicht getauft war, galt als Kommunist. So wurde auch ich 1942 getauft. Zu Beginn des Krieges unternahmen die Deutschen noch nichts gegen die Roma. Die Juden haben sie gleich weggebracht. Aber von den Roma wollten sie, dass sie Musik machen und auf ihren Konzerten auftreten.

Ab Ende 1941, Anfang 1942 ging es auch mit den Roma los. Unser Großvater kam ins Gefängnis. Als er zurückkam, erzählte er uns, was dort den Kommunisten und Partisanen angetan wurde. Sie wurden grausam gefoltert. »Gott bewahre, dorthin zu kommen, lieber an Ort und Stelle erschossen werden«, sagte er.

Einmal stahlen einige Roma den Deutschen zwei Pferde, um sie zu den Partisanen zu bringen. Sie wurden von den Deutschen oder von Polizisten erschossen. Der eine von ihnen war schwarz, die Deutschen hielten ihn für einen Juden. Sie banden seine Füße am Sattel fest und schleiften ihn durchs ganze Dorf. »Hei Juda« riefen sie.

Mein Vater war ja auch bei den Partisanen, und meine Mutter war Kundschafterin. Sie ging wahrsagen, und sie erfuhr, wo die Deutschen sind, welche Waffen sie hatten, welche Polizisten sich schlecht benahmen usw. Sie berichtete darüber dem Vater. Die Leute im Dorf wussten das. Wenn jemand darüber geredet hätte, wären wir auch tot. Also ging unsere Mutter mit meinem älteren Bruder und mir zu einer Tante ins Nachbardorf.

Kurz danach kamen die Deutschen dorthin. Die Mutter lenkte sie ab und rief uns zu, dass wir wegrennen sollten.

Sowjetische Partisanen in Belarus, 1943.
Sowjetische Partisanen in Belarus, 1943. Quelle: Wikimedia (Russisches Staatsarchiv)

Die Deutschen schossen schon mit Maschinengewehren hinter uns her. Kurz danach verließen wir das Dorf und lebten in Zelten im Wald, in der Nähe der Partisanen. Bevor es einen Kampf gab, warnte uns der Kommandeur. Bis zum Ende des Krieges versteckten wir uns in den Sümpfen rund um Gomel.

Für seine Partisanentätigkeit erhielt mein Vater Auszeichnungen. Er wurde auf einem Militärfriedhof beerdigt.

wehrmachtsbefehl
Wehrmachtsberichte wie dieser belegen das breite Ausmaß der Partisanentätigkeit in Belarus. Quelle: Yad Vashem, Bestand M41, Akte 104

Wasilij Iwanowitsch nahm Bezug auf das Schicksal eines anderen Rom, der heute ebenfalls in Gomel lebt und den wir ebenfalls in dieser Ausstellung zeigen: Pawel Jewmenowitsch Gorbunow. Dessen Geschichte wird hier nur leicht variiert. Wir dokumentieren diese Stelle, weil sie für uns ein Zeichen ist, wie sehr die Rom:nja die Erinnerung an den Völkermord pflegen.

Nach dem Krieg erfuhr mein Vater, dass die ganze Familie seiner Schwiegermutter in der Gegend zwischen Nowosybkow und Koschany, im heutigen Russland, ermordet wurde. Die Deutschen hatten dort einen ganzen Tabor versammelt, 300 Menschen. Sie mussten Gräben ausgraben, alle wurden in einer Reihe aufgestellt, auch Kinder. Plötzlich kam der Bürgermeister angerannt. Zu den Deutschen sagte er: »Diese Frau hier ist keine Romni. Sie ist Russin, die einen Rom geheiratet hat. Lassen Sie sie gehen.« Sie hatte eine sehr helle Hautfarbe, und die Familie war schon lange im Dorf ansässig und genoss dort Respekt. Und so durfte sie gehen, mit ihren zwei Kindern, und sie konnte noch ihren Neffen mitnehmen. Kaum war sie ein paar Schritte vom Graben weg, fingen die Deutschen an, die anderen zu erschießen.