»Versteckt euch, oder die Deutschen werden euch erschiessen«

Sawelij Saweljewitsch Sulimowskij, geb. 30.9.1960

Die Eltern von Sawelij Saweljewitsch Sulimowskij überlebten beide den Krieg – der eine als Rotarmist, der 1945 in Deutschland eine Rom:nja Familie besuchte, die andere als Zwangsarbeiterin in einem Lager. Aus Sawelij Saweljewitschs Bericht geht auch hervor, dass manche Rom:nja die Gefahr durch die Deutschen nicht ahnten: Seine im Untergrund kämpfende Großmutter versuchte vergeblich, einen Tabor zur Flucht zu bewegen, und wurde schließlich selbst erschossen.

Sawelij Saweljewitsch Sulimowskij

Mein Vater war eine echte Seltenheit. Er entstammte einer adligen Familie, er hatte das Gymnasium abgeschlossen.Mein Großvater hatte einen großen Hof im Dorf Ostjor, in der Region Tschernihiw, heute gehört das zur Ukraine. Ihm gehörte fast die Hälfte des Dorfes. 1936 wurde er entkulakisiert [als sog. Kulak enteignet, Anm. Projektteam]. Und meine Oma war die Kolchosvorsitzende im Ort Losowaja.

1939 wurde mein Vater zur Armee einberufen. Er war an der Schlacht im Kursker Bogen, in der Tschechoslowakei und kam bis nach Deutschland. Zuletzt diente er als Feldwebel.

Von dort hat er mir eine Geschichte erzählt: Es war Ostern 1945, und der Kommandeur hatte irgendwelche Kontakte zu deutschen Roma. Er war selbst zur Hälfte Rom. Und mein Vater hat darum gebeten, zu diesen Roma gehen zu dürfen. »Es ist gefährlich, hast du keine Angst?« wurde er gefragt.

Er hat geantwortet, dass er nichts zu fürchten habe. Der Kommandeur hat die Verantwortung übernommen und ihn gehen lassen.

Der Wehrpass des Vaters von S. Sulimowskij
Der Wehrpass des Vaters von S. Sulimowskij

Als er das Haus der Roma betrat, waren die ganz erschrocken. Er hatte ja eine Uniform an. Dann hat er sich vorgestellt und fing an, auf Romanes zu reden und ihnen zu Ostern zu gratulieren. Da haben sie sich beruhigt und ihn freundlich begrüßt. Am Ende lag er ihnen so am Herzen, dass sie ihn gar nicht mehr gehen lassen wollten. »Bleib bei uns«, meinten sie. Aber er: »Wie kann ich denn bleiben, ich bin doch Soldat.«

Mein Vater kam erst 1946 wieder nach Hause. Aber dort war kaum noch einer am Leben geblieben. Die Familie bestand aus 300 Menschen. Meine Großmutter Marija war ja Kommunistin. Die Deutschen suchten nach ihr, und sie kämpfte weiter im Untergrund. Zu ihren Verwandten sagte sie: »Versteckt Euch, oder die Deutschen werden Euch erschießen.« Aber man hat ihr geantwortet: »Marija, aber sie haben ja den Russen nichts getan, wieso sollten sie uns etwas antun?« Sie erklärte ihnen: »Ihr seid Roma, ihr solltet fliehen!« Aber man hat ihr nicht geglaubt.

Und dann kamen die Deutschen, wie zur Treibjagd.

Hochzeitsbild der Eltern von S. Sulimowskij
Hochzeitsbild der Eltern von S. Sulimowskij
Die Großeltern von Sawelij Saweljewitsch
Die Großeltern von Sawelij Saweljewitsch

Aus ihrem Versteck sah sie, wie ihre Familie zum Erschießen geführt wurde. Das hat sie nicht ausgehalten, sie ist aufgesprungen und zu ihnen gelaufen. Sie wurde an Ort und Stelle erschossen. Auch die anderen Verwandten wurden erschossen, entweder gleich dort, oder sie wurden nach Babyn Jar gebracht und dort erschossen.

Meine Mutter überlebte den Krieg gemeinsam mit ihrem Vater im Lager, in der Nähe von Gomel. Dort musste sie Zwangsarbeit leisten. Sie war damals erst 10 oder 11 Jahre alt. Sie wurden aufgegriffen und sollten erschossen werden. Die Deutschen erkannten sie ja leicht am Aussehen. Wenn Du so dunkel bist, bist Du entweder Jude oder Rom. Aber in letzter Minute verschonte man sie. In dem Lager blieben sie ungefähr ein Jahr lang.

Befehl des SS- und Polizeiführers im Generalbezirk »Weißruthenien« und Führers der »Kampfgruppe Gottberg«
Befehl des SS- und Polizeiführers im Generalbezirk »Weißruthenien« und Führers der »Kampfgruppe Gottberg«, Curt von Gottberg, vom 7.12.1942 zur Durchführung der Antipartisanen-Aktion mit dem Codenamen »Hamburg«. In dieser, wie auch in unzähligen anderen Aktionen dieser Art, wurden Tausende von Zivilist:innen ermordet. Quelle: Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges, Minsk
Aufruf
Quelle: Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges, Minsk