Überlebensstrategien und Widerstand
Im Rahmen unserer Recherche zeigten uns die Interviewpartner:innen mehrfach Fotos von Familienangehörigen, die in der Roten Armee oder, wie hier, in Partisaneneinheiten gekämpft hatten.
Hier abgebildet: Ljubow Konstantinowna Iwanowitsch, geb. 1920. Für ihre Tätigkeit als Kundschafterin wurde sie mehrfach ausgezeichnet und hatte einige Auftritte im Fernsehen.
Sie nahm regelmäßig an den Paraden zum Tag des Sieges teil.
Die Gefahr, die von den Deutschen ausging, wurde den meisten Rom:nja erst bewusst, nachdem es die ersten Massenerschießungen gegeben hatte. Die wichtigste Strategie für das Überleben lautete schlicht: Sich in den Wäldern und Sümpfen zu verbergen, weil sich deutsche Einheiten nur selten dort hinein wagten. Wie schon für das Leben nomadischer Rom:nja vor dem Krieg, war auch für ihr Überleben während der Besetzung die Beziehung zu belarussischen Bäuerinnen und Bauern von entscheidender Bedeutung. Je vertrauter die Rom:nja mit dem jeweiligen Dorf waren, desto größer waren ihre Überlebenschancen. Überlebende berichten häufig von Bäuerinnen und Bauern, die die Rom:nja in ihrer Nähe vor heranrückenden deutschen Einheiten warnten, oder die einzelne Rom:nja bei sich beherbergten.
Vor allem Frauen hatten die Aufgabe, zur Beschaffung von Lebensmitteln immer wieder in die Dörfer zu gehen.
Durch ihren Kontakt zur Dorfbevölkerung erlangten sie häufig politisch oder militärisch wichtige Informationen, die sie an die Partisan:innen weitergaben.
Bei solchen Gängen waren sie ständig in Gefahr, erwischt zu werden – sei es durch deutsche Patrouillen oder durch die von den Deutschen eingesetzte Hilfspolizei.
Es kam aber auch vor, dass Bäuerinnen und Bauern die Verstecke von Rom:nja verrieten. Sie hofften damit die aus Not heraus stattfindenden Diebstähle von Lebensmitteln und Tieren zu vermindern.
Zahlreiche Rom:nja schlossen sich in den Wäldern den Einheiten von Partisan:innen an, als Kämpfer:innen oder unbewaffnete Unterstützer:innen.
Teilweise gab es Familienlager, die unter dem Schutz von Partisan:innen standen, und in denen Angehörige verschiedener Ethnien vertreten waren.
Auch für diese Lager bestand, wie für die Partisanenverbände insgesamt, die ständige Gefahr, von Deutschen angegriffen oder von Denunziant:innen verraten zu werden.
Für die Minderheit der sesshaften Rom:nja war die Situation anders, wenn auch nicht in jedem Fall leichter. Neben dem Verhältnis zu ihren Nachbar:innen war für ihr Überleben ein weiterer Faktor von hoher Bedeutung: In sowjetischen Dokumenten jener Zeit – Ausweise, Geburts- urkunden, Arbeitsbücher – war die ethnische Herkunft der Bürgerinnen und Bürger angegeben.
Während Rom:nja, die nomadisch lebten, häufig keine Papiere hatten, entschieden sich zahlreiche sesshafte Rom:nja dafür, sich als »Russen«, »Belarussen«, »Ukrainer« usw. registrieren zu lassen. Dies war sicherlich auch eine Folge der interethnischen Eheschließungen. In den ehemals polnischen Gebieten des westlichen Belarus gab es zahlreiche Rom:nja, die nach Kenntnis der Historikerin Volha Bartash polnische Dokumente besaßen und nicht als Rom:nja erfasst waren.
Mehrere Interviewpartner:innen berichteten, dass sie selbst oder ihre Vorfahr:innen durch das Vorzeigen eines solchen Dokuments von der Ermordung verschont blieben. Aus anderen Berichten geht zudem hervor, dass manche Rom:nja, die eine relativ helle Haut, blaue Augen oder blonde Haare hatten, die Deutschen über ihre Herkunft täuschen konnten, vor allem, wenn andere Einwohner:innen bestätigten, dass sie keine Rom:nja seien. Offenbar wurden sesshafte Rom:nja nur selten von der Dorfbevölkerung verraten. Vereinzelt wird auch davon berichtet, dass Belaruss:innen für Bezahlung Rom:nja als angebliche »belarussische« oder »russische« Angehörige ausgaben.