»Die Deutschen setzten eine Belohnung auf meine Mutter aus«

Nikolaj Iwanowitsch Lukjanenko, geb. ca. 1940

Die Mutter von Nikolaj Iwanowitsch wurde von den Deutschen wegen ihrer Verbindungen zu Partisanen gesucht und musste im Untergrund leben. Nikolaj Iwanowitsch selbst überlebte in Obhut verschiedener Familien, die keine Rom:nja waren. Bei der Zerstörung eines Dorfes wurde er von deutschen Soldaten schwer misshandelt.

Nikolaj Iwanowitsch Lukjanenko, »Die deutschen Setzten eine Belohnung auf meine Mutter aus.«

Meine Mutter war eine tapfere Frau. Unter dem Boden unserer Hütte hat sie ein paar Wochen lang zwei Männer versteckt. Sie waren vor den Deutschen geflohen. Immer, wenn es Essen gab, habe ich sie herausgerufen. Ich war ja erst zwei Jahre alt und habe sie gerufen, so wie ich die Hühner zum Füttern anlockte: »Zip zip zip«.

Meine Mutter hat eine Zeit lang bei den Deutschen gearbeitet. Sie hatten sie gezwungen, für sie zu kochen und ihre Wäsche zu waschen. Aber sie hatte einen guten Kontakt zu den Partisanen. Sie hat ihnen über einen Boten Informationen geschickt. Sie erzählte oft: »Am Tag waren die Deutschen im Dorf, und in der Nacht kamen die Partisanen, um herauszufinden, was passiert ist.« Unsere Polizisten haben das aber herausbekommen und sie bei den Deutschen verraten.

Die setzten eine Belohnung auf sie aus. Einer der Polizisten, die sie bei den Deutschen verrieten, wurde nach dem Krieg festgenommen. Er starb im Gefängnis.

Die von Nikolaj Iwanowitsch erwähnte zerstörte Ortschaft Baranowitschi, 1944.
Die von Nikolaj Iwanowitsch erwähnte zerstörte Ortschaft Baranowitschi, 1944. Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, mit freundlicher Genehmigung des Belarussischen Staatsarchivs für Dokumentarfilme und Fotografie

Meine Mutter wurde mehrere Male festgenommen, konnte aber immer fliehen. Einmal wurde sie zusammen mit meinem Vater auf einen Pferdewagen gesetzt.

Ein Russe, er hieß Iwan, sollte sie in ein anderes Dorf bringen, wo sie erschossen werden sollten. Mein Vater konnte diesen Iwan aber töten, und sie flohen. Später wurde mein Vater festgenommen. Die Leute erzählten, die Deutschen hätten ihn in einen Zug gesetzt und weggefahren.

Wir haben nie mehr von ihm gehört. Ein anderes Mal wurde meine Mutter mit vielen anderen Menschen in eine große Scheune im Dorf Oskolkowo eingesperrt. Dort waren auch ganze Familien mit Kindern. Die Deutschen nahmen immer wieder welche heraus und erschossen sie. Nach einem Monat sind dann die Partisanen gekommen und haben sie befreit. Mich hatte meine Mutter während dieser Zeit bei russischen Familien zurückgelassen.

Einmal haben die Deutschen ein ganzes Dorf angezündet, weil in der Nähe Partisanen im Wald waren. Die russische Oma, bei der ich damals lebte, hat mich in der Sauna versteckt. Sie selbst wurde ermordet. Als die Deutschen mich entdeckten, haben sie mich mit Füßen so stark in den Bauch getreten, dass ich viele Jahre lang inkontinent war.

Später haben mich die Partisanen gefunden.

Ich hatte so viele Verwandte in Belarus. Sie wurden in Scheunen gesperrt und verbrannt. Vor allem im Bezirk Baranowitschi. Etwa 30 Menschen aus meiner Familie wurden von den Deutschen erschossen. Schwester, Tante, Großvater, Onkel. Nur mein Bruder, meine Schwester, meine Mutter und ich haben überlebt.

In Unetscha, im heutigen Russland, wurden 400 bis 500 Menschen erschossen. Mehrere Tage lang soll sich die Erde bewegt haben. Ein junger Mann ist aus dem Grab gekrochen und konnte sich bei seiner Großmutter verstecken.

Die spätere Frau meines Onkels konnte von dort fliehen. Vor 20 oder 30 Jahren sind wir mit dem Auto dorthin gefahren und haben ein Kreuz errichtet. Nach dem Krieg kam meine Mutter zurück und nahm mich wieder zu sich. Sie war mehrfach verletzt worden, durch Kugeln und Bajonette, aber sie hatte überlebt. In der Sowjetunion war über diese Geschichte nichts in den Zeitungen zu lesen. Ich habe mit anderen Roma darüber gesprochen, aber in der Öffentlichkeit schwieg man darüber. Ich finde es aber wichtig, dass unsere Kinder davon erfahren. Damit sie in die Armee gehen und ihre Heimat schützen.

Galina Iwanowna Lujkanenko
Galina Iwanowna Lujkanenko, die jüngere Schwester von Nikolaj Iwanowitsch, mit einem Foto von sich selbst in jungen Jahren. Galina Iwanowna unterstützte das Interview und ergänzte, dass sie mit ihrer Mutter und zahlreichen anderen Rom:nja vermutlich im Jahre 1944 von Deutschen in eine Scheune gesperrt worden sei. Nach einigen Tagen wurde die Scheune angezündet. Einigen Rom:nja gelang es, die Holzwände zu durchschlagen und zu fliehen.