»Niemand ist vergessen, nichts ist vergessen«?
Über die Erinnerung in Belarus
Der Völkermord ist in den Familien der Rom:nja bis heute unvergessen. Sie sind praktisch alle die Nachkommen von Überlebenden. Und fast alle kennen Erzählungen über Verwandte, die ermordet wurden. Zugleich wird in vielen Familien nicht nur an die Schrecken erinnert, die ihre Vorfahren erlitten haben, sondern auch voller Stolz an den Widerstand in den Reihen der Partisan:innen oder der Roten Armee.
Obwohl Rom:nja bereit sind, über ihre Erinnerungen zu berichten, hat ihnen bislang kaum jemand zugehört. Ihre Erinnerungen sind bis heute nicht in die nationale Geschichtserzählung eingeflossen und finden sich nicht in Schulbüchern. Der offiziöse Leitspruch der sowjetischen wie belarussischen Erinnerungspolitik »Niemand wird vergessen, nichts wird vergessen«, hat für Rom:nja keine Gültigkeit. Orte der Erinnerung gibt es praktisch nicht: Die meisten Stätten von Massenerschießungen sind bis heute nicht markiert, und es gibt nur wenige Denkmäler zur Erinnerung an die ermordeten Rom:nja. Historische Forschungen dazu stehen noch ganz am Anfang. Der 2. August, der andernorts in Europa als Tag des »Rom:nja-Holocausts« gewürdigt wird, ist in Belarus kein offizieller Gedenktag – wenn auch einzelne Rom:nja-Initiativen an diesem Tag Veranstaltungen durchführen.
In Belarus wirkt die sowjetische Erinnerungspolitik nach, die ermordete Zivilist:innen summarisch als »friedliche sowjetische Bürger« bezeichnete, selbst wenn es sich bei den Opfern überwiegend oder gar ausschließlich um Rom:nja gehandelt hat, wie etwa beim Denkmal in Nowosjady (bei Oschmjany). Damit werden zwar Rom:nja ausdrücklich als NS-Opfer gewürdigt und ihre Zugehörigkeit zur Nation in keiner Weise in Frage gestellt – ganz anders als im Deutschland der Nachkriegszeit. Die Kehrseite ist allerdings, dass man auch in Belarus den rassistischen Charakter der deutschen Verbrechen nicht vollständig erfasst.
In Gesprächen mit den Nachfahren der Überlebenden, aber auch mit Nicht-Rom:nja, ist immer wieder eine große Unsicherheit über die Motive der Besatzer zu spüren. Vielen ist die rassistische Motivation der Deutschen zwar bewusst (»sie akzeptierten die Rom:nja nicht als Menschen«), oftmals hörten wir aber auch andere Erklärungen: Die Deutschen hätten die Rom:nja wegen der Unterstützung für Partisan:innen bestrafen wollen; sie hätten sie als schlechte Arbeiter einge schätzt; sie hätten sie umgebracht, weil das Romanes Ähnlichkeiten mit dem Jiddischen habe.
Dennoch gibt es Chancen dafür, die Erinnerung an den Genozid an Rom:nja in Belarus zu stärken. Medien und Museumsleitungen haben auf unser Projekt mit großer Aufgeschlossenheit reagiert. Es gibt, nachdem über die Shoah mittlerweile auch in Belarus geredet wird, ein Interesse daran, auch dem Völkermord an Rom:nja nachzugehen.
Das Engagement von Rom:nja bei den Partisan:innen, die in Belarus nach wie vor ein hohes Prestige haben, kann diese Erinnerung befördern.
Wir hoffen, dass diese Ausstellung – die in einer russischsprachigen Version auch in Belarus gezeigt wird – einen Beitrag dazu leistet, dass sich die Mehrheitsgesellschaft mit einem von ihr schon viel zu lange ignorierten Genozid auseinandersetzt und dabei auch tradierte Stereotype über Rom:nja in Frage gestellt werden.