»Das Denkmal habe ich auf meine Kosten gebaut«

Galina Iwanowna Alexandrowitsch, geb. 2. Mai 1938

Galina Iwanowna lebt heute in Minsk. Sie hat als Kind ein Massaker an ihrer Familie überlebt, weil sie gemeinsam mit ihren Geschwistern von einer Belarussin versteckt wurde. Nach jahrzehntelangem Suchen konnte Galina Iwanowna den Ort des Massakers nahe der Ortschaft Nowosjady auffinden und hat dort auf eigene Initiative ein Denkmal errichtet.

Galina Iwanowna Alexandrowitsch

Die Dorfbewohner erzählen, die Deutschen hätten damals angekündigt, neue Pässe auszugeben. Deswegen sind meine Verwandten nach Oschmjany [Hauptort der Region, Anm. Projektteam] gekommen. Sie waren nicht nomadisch, sie lebten in festen Häusern. Aber wie sich herausstellte, hatten die Deutschen eine heimtückische Absicht. Denn auf diese Weise fanden sie heraus, welcher Ethnie man angehört und wer zu den Roma gehört.

Sie haben die Roma weggebracht, um sie zu erschießen. Auch ein Jude soll darunter gewesen sein. Man hat sie in einer Scheune festgehalten. Die Leute aus den Dörfern mussten Gruben ausheben. Und dann hat man die Roma und den Juden erschossen. Am Anfang, so sagen die Leute, wurde nur in die Schulter geschossen. Dann sagte der Anführer: »Ich will sehen, dass sie Angst haben«. Und dann schoss man ihnen in die Brust.

Drei Tage lang soll die Erde gebebt haben. 44 Menschen sind dort begraben. Meine Mutter, Tanten, Onkel… Ob sie direkt in die Grube fielen, oder ob sie versuchten, davonzulaufen, weiß ich nicht. Ich war erst vier Jahre alt. Ich erinnere mich weder an meine Mutter noch an meinen Vater.

Galina Iwanowna Alexandrowitsch vor ihrem Haus
Galina Iwanowna Alexandrowitsch vor ihrem Haus

Als meine Mutter ahnte, dass man uns alle erschießen würde, hat sie einer Frau, einer Belarussin, gesagt, dass sie uns Kinder verstecken solle. Der Anführer der Deutschen hat es aber herausgefunden und hat jemanden zu dieser Frau geschickt. Die sagte aber: »Bei mir sind keine Kinder.« Sie hat die Kinder bei einer anderen Frau im Nachbardorf versteckt. Später hat meine Tante davon erfahren und uns dort abgeholt. Meine einjährige Schwester, ich mit vier Jahren, mein Bruder war sechs, und die ältere Schwester zehn. Tante Raja war wie eine Mutter für uns. Sie hat mir erzählt, was geschehen ist, aber sie konnte mir nicht genau beschreiben, wo das gewesen ist.

Ich habe lange nach dem Ort gesucht, an dem sie ermordet wurden. Auf Friedhöfen brachte ich andere Gräber in Ordnung und dachte: »Vielleicht kümmert sich jemand um die Gräber meiner Verwandten.«

Am 4. September (2019) ist es 24 Jahre her, dass ich den Ort gefunden habe. Nach dem Krieg hatte der Direktor der Stärkefabrik ein kleines Denkmal bauen lassen, auf dem steht, dass hier 44 Menschen erschossen wurden.

Das Denkmal, wie es heute ist, habe ich auf meine Kosten gebaut. Von meiner Rente. Ich habe von einem Engel geträumt, und mein Sohn hat dann eine Engelsfigur gemacht, er ist Steinmetz. Das ist wichtig, denn es gab da Kinder.

Galina Iwanowna Alexandrowitsch zeigt Fotos des von ihr initiierten Denkmals
Galina Iwanowna Alexandrowitsch zeigt Fotos des von ihr initiierten Denkmals

Ich habe niemanden um Erlaubnis gefragt, ich habe es einfach gebaut. Es hat niemanden gestört. Als die Leute aus dem Dorf erfuhren, dass ich eine Verwandte dieser Toten bin, küssten sie mich und freuten sich mit mir, dass ich den Ort gefunden hatte. Der Vorsitzende des Dorfrates hat mir geholfen, er hat einen Weg zum Denkmal bauen lassen, so dass man nicht über den Acker gehen muss. Der Weg müsste aber noch asphaltiert werden.

Jedes Jahr am 9. Mai, am Tag des Sieges, fahre ich hin, mit meiner Familie. Auch Anwohner kommen und legen Blumen ab.

Ich bin jetzt schon alt. Ein bisschen lebe ich noch, und ich will dort alles in Ordnung bringen, um ruhig sterben zu können. Danach werden meine Kinder dorthin fahren. Dieser Ort wird nicht vergessen.

Nach dem Krieg hatte der Direktor der Stärkefabrik, ein kleines Denkmal bauen lassen, auf dem steht, dass hier 44 Menschen erschossen wurden.
Denkmal zu Ehren der Verwandten von Galina Iwanowna, bei Nowosjady. »Dieser Ort wird nicht vergessen.«