»…aus dem Wesen dieser Rasse heraus«

Der Völkermord an Sinti:zze und Rom:nja in Deutschland und im besetzten Europa

Die Nazis haben die seit Jahrhunderten bestehenden Vorurteile gegen Sinti:zze und Rom:nja radikalisiert. Sie sahen in ihnen Angehörige einer fremden, ja schädlichen »Rasse«, die sie ausmerzen wollten. Die Mittel dazu waren Deportation, Zwangssterilisation und Ermordung.

Der Völkermord begann ab 1933 mit schrittweiser Ausgrenzung und Entrechtung auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Sozialleistungen wurden gekürzt, Wandergewerbescheine entzogen, Artisten und Musiker aus der Reichsmusik- bzw. Reichskulturkammer ausge- schlossen. Ihre damit herbeigeführte Arbeitslosigkeit galt den Nazis als Bestätigung dafür, dass Sinti:zze und Rom:nja »arbeitsscheu« seien. Infolge der Nürnberger Gesetze wurden Ehen zwischen arischen und sog. »volksfremden« Deutschen, später auch zwischen sogenannten »Zigeunermischlingen« untereinander verboten. Vom Schulbesuch wurden Sinti:zze und Rom:nja nach und nach ausgeschlossen.

Robert Ritter, Leiter der Rassenhygienischen Forschungsstelle
Robert Ritter, Leiter der Rassenhygienischen Forschungsstelle, bei einer Befragung, 1936. Quelle: Bundesarchiv, R 265, Bild 244-71

Ab 1935 begannen mehrere deutsche Großstädte damit, Sinti:zze und Rom:nja zwangsweise in »Zigeunerlagern« unterzubringen, die von Polizei oder SA bewacht wurden. Spätestens ab 1937 liefen Sinti:zze und Rom:nja ständig Gefahr, in »Vorbeugehaft« oder in ein Konzentrationslager eingewiesen zu werden. In einem Erlass vom 8. Dezember 1938 sprach das Reichskriminalpolizeiamt von der »endgültigen Lösung der Zigeunerfrage«, die »aus dem Wesen dieser Rasse heraus in Angriff« zu nehmen sei.

Deportation und Mord

Im September 1939 beschlossen die Nazis, sämtliche Sinti:zze und Rom:nja aus dem Reichsgebiet zu deportieren. Bereits einen Monat später wurde ihnen das Verlassen des Wohnsitzes bzw. Aufenthaltsortes untersagt (sog. »Festsetzungserlass«). Es folgten mehrere Deportationen ins besetzte Polen: 2500 Sinti:zze und Rom:nja aus dem Westen Deutschlands im Mai 1940; 5000 Rom:nja aus dem österreichischen Burgenland im November 1941 und 2000 ostpreußische Sinti:zze im Februar 1942. Auf sie warteten Zwangsarbeit, Inhaftierung in Ghettos oder KZ. Die große Mehrheit der burgenländischen Rom:nja wurde im Lager Kulmhof in Gaswagen ermordet.

Ab Februar 1943 wurde der Großteil der noch im Deutschen Reich lebenden Sinti:zze und Rom:nja in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Umfangreiche Deportationen gab es auch aus dem besetzten Tschechien und aus Polen selbst.

Eva Justin, Mitarbeiterin der Rassenhygienischen Forschungsstelle, untersucht eine Frau, 1938.
Eva Justin, Mitarbeiterin der Rassenhygienischen Forschungsstelle, untersucht eine Frau, 1938. Quelle: Bundesarchiv Bild 146-1986-044-08/o.A.

Eine wichtige Grundlage für die Deportationen waren sog. »Zigeunerakten«, die seit Ende des 19. Jahrhunderts von den Polizeibehörden geführt worden waren.

Hinzu kamen Gutachten der Rassenhygienischen Forschungsstelle (RHF) im Reichsgesundheitsamt, die mittels Ahnentafeln und Kopf- und Gliedervermessungen Zehntausende Sinti:zze und Rom:nja »untersucht« hatte. Mindestens 2500 Sinti:zze und Rom:nja wurden zwangssterilisiert.

Ungefähr 22.600 Sinti:zze und Rom:nja jeden Alters und Geschlechts aus ganz Europa wurden nach Auschwitz deportiert, davon über 13.000 aus Deutschland bzw. Österreich.

Rund 19.300 starben dort an Hunger, Unterkühlung, Krankheiten und Erschöpfung, an den Folgen medizinischer Experimente oder wurden in die Gaskammern getrieben. Der erste Versuch der SS, das Lager zu vernichten, scheiterte am 16. Mai 1944 am Widerstand der vorgewarnten Insassen. Das rettete einigen Hundert von ihnen das Leben, die als noch »Arbeitsfähige« in andere KZ verlegt wurden.

In der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurden die restlichen 2897 Gefangenen in den Gaskammern ermordet.

Serben und Roma werden unter Aufsicht von Ustaša-Einheiten zum Konzentrationslager Jasenovac gebracht.
Serben und Roma werden unter Aufsicht von Ustaša-Einheiten zum Konzentrationslager Jasenovac gebracht. Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, mit freundlicher Genehmigung des Muzej Revolucije Narodnosti Jugoslavije.

Europäische Dimension des Völkermordes

Auch in vielen von deutschen Truppen besetzten oder mit Deutschland verbündeten Ländern wurden Sinti:zze und Rom:nja ermordet. Die kroatische Ustaša-Regierung, die mit den Nazis paktierte, ermordete bis zu 50.000 Rom:nja, davon alleine im Vernichtungslager Jasenovac mindestens 16.000. In der besetzten Sowjetunion erschossen Deutsche Zehntausende sesshafte wie auch nomadisierende Rom:nja. Die rumänische Regierung unter Marschall Antonescu deportierte über 25.000 Rom:nja in die Südukraine, wo rund die Hälfte von ihnen infolge von Krankheiten, Hunger und Kälte zu Tode kam.

Rom:nja vor der Exekution, Herbst 1942
Rom:nja vor der Exekution, Herbst 1942, vermutlich in der Ukraine. Quelle: Yad Vashem, Public Domain
Ein Gendarm führt eine Gruppe von Roma zur Exekution
Ein Gendarm im Dienst der serbischen Marionettenregierung unter Milan Nedić führt eine Gruppe von Roma zur Exekution. Serbien, ca. 1941 – 1943. Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, mit freundlicher Genehmigung des Muzej Revolucije Narodnosti Jugoslavije.

Auch Tausende polnischer, serbischer, ungarischer, belgischer und niederländischer Sinti:zze bzw. Rom:nja wurden deportiert und ermordet. In Frankreich und Italien gab es umfangreiche Internierungen von Sinti:zze und Rom:nja.

Die Gesamtzahl der deportierten und ermordeten Sinti:zze und Rom:nja Europas wird auf mehrere Hunderttausend geschätzt.