Transnistrien: Schauplatz eines doppelten Völkermordes

Während des Zweiten Weltkrieges ermordeten die Nazis und ihre Verbündeten schätzungsweise eine halbe Unter Führung des im September 1940 an die Macht gekommenen Marschalls Ion Antonescu beteiligte sich Rumänien am Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion. Antonescu versprach sich davon die Wiedereroberung der Nordbukowina und Bessarabiens, die 1940 von der Sowjetunion besetzt worden waren. Die Eroberung Transnistriens sah er zugleich als Chance, unerwünschte Minderheiten dorthin zu deportieren, um sein Ziel einer „ethnischen Homogenisierung“ Rumäniens zu verwirklichen.

Transnistrien, das Besatzungsgebiet zwischen den Flüssen Dnister und Bug, wurde am 30. August 1941 einem rumänischen Gouverneur unterstellt. Allerdings bildeten die Siedlungsgebiete der deutschen Minderheit, die sich auf 130.000 Einwohner in rund 228 Dörfern belief, faktisch einen eigenen Staat innerhalb des rumänischen Machtbereichs. Über 8000 Volksdeutsche schlossen sich dem „Volksdeutschen Selbstschutz“ unter Kontrolle der SS an.

In Transnistrien wurden zwischen 1941 und 1944 Hunderttausende von Menschen ermordet. Die Opfer waren zum einen Jüdinnen und Juden, zum anderen Rom:nja. Die Morde wurden teilweise von Rumänen und Deutschen unabhängig voneinander begangen, teilweise in einem arbeitsteiligen Prozess. Viele der überlebenden Rom:nja, die wir interviewt haben, schilderten uns, dass sie die Orte gesehen haben, an denen zuvor Juden erschossen worden waren.

Ein rumänischer Soldat beaufsichtigt die Deportation jüdischer Frauen. Sowjetunion, 17.7.1941

Ein rumänischer Soldat beaufsichtigt die Deportation jüdischer Frauen. Sowjetunion, 17.7.1941
Quelle: Bundesarchiv

Als erstes traf es die jüdische Bevölkerung der wiedergewonnenen Gebiete: Aus der Bukowina und Bessarabien begannen bereits Ende Juli 1941 die ersten Deportationen. Im Sommer 1942 folgten die Deportationen von mindestens 25.000 rumänischen Rom:nja.

Die Menschen wurden teilweise zu Fuß über Hunderte von Kilometern geführt, viele starben unterwegs an Hunger und Entkräftung, wurden ausgeraubt und vergewaltigt. In Transnistrien wurden weit über 200 Ghettos und Lager eingerichtet. Darin wurden auch die ukrainischen Juden gepfercht, die aus Transnistrien selbst stammten. In den Ghettos stießen die Menschen auf Bedingungen, die in jeder Hinsicht mörderisch waren: Es mangelte an Nahrung, an Unterkünften, an Heizmöglichkeiten, an medizinischer Versorgung. Offiziell festgesetzte Rationen standen meist nur auf dem Papier. In ihrer Not tauschten die Deportierten ihre Kleidung gegen Lebensmittel. Denjenigen, die im Pferdewagen nach Transnistrien gekommen waren, wurden diese abgenommen (z. B den nomadisierenden Rom:nja). Dadurch verloren sie schlagartig ihren ganzen Besitz. Bald fielen Tausende dieser entkräfteten Menschen Seuchen zum Opfer.

Massaker Unmittelbar nach dem Einmarsch rumänischer und deutscher Truppen begannen im Sommer 1941 die Einsatzgruppe D der Sicherheitspolizei und des „Sicherheitsdienstes“ der SS und Angehörige der Wehrmacht damit, vor allem in den ländlichen Regionen sowohl einheimische Juden und Jüdinnen als auch Rom:nja zu erschießen.

Nach Transnistrien deportierte und dort erschossene Juden, Oktober 1941.

Nach Transnistrien deportierte und dort erschossene Juden, Oktober 1941.

Nach einem Bombenanschlag auf das rumänische Hauptquartier in Odessa ermordeten rumänische Verbände am 23. Oktober 1941 rund 25.000 jüdische Einwohner. Die Opfer wurden erschossen, bei lebendigem Leib verbrannt oder durch Sprengsätze getötet. Die Überlebenden wurden im Winter in nordöstlich gelegene Rayons gebracht. Als in den völlig überfüllten Lagern Typhus ausbrach, reagierten die rumänischen Behörden mit einem neuerlichen Massenmord: Zwischen Dezember 1941 und März 1942 töteten sie in den Lagern Bogdanowka und Domanewka rund 68.000 Menschen. An den Erschießungen beteiligten sich auch ukrainische Hilfspolizisten und Angehörige des Volksdeutschen Selbstschutzes.

Im Jahr 1942 wurde eine regelrechte Arbeitsteilung vorgenommen: Die rumänische Gendarmerie schickte Jüdinnen und Juden in die volksdeutschen Siedlungsgebiete, vor allem im Kreis Beresiwka und bei Mostovoi, wo sie dann vom Volksdeutschen Selbstschutz ermordet wurden. Die Zahl der Toten lag allein im Frühjahr 1942 nach offiziellen deutschen Angaben bei 28.000.

Ein Mitglied einer Einsatzgruppe erschießt einen ukrainischen Juden. Vinnitsa, 1941-1943.

Ein Mitglied einer Einsatzgruppe erschießt einen ukrainischen Juden. Vinnitsa, 1941-1943.
Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, mit freundl. Genehmigung von Sharon Paquette.

Mindestens 15.000 Juden wurden bis 1943 von Transnistrien ins östlich angrenzende Reichskommissariat Ukraine, die deutsche Besatzungszone, verbracht. Sie mussten dort Zwangsarbeit verrichten und wurden danach fast alle erschossen.

Weitere Morde in den verbliebenen Ghettos ereigneten sich 1944, als die deutsche Armee auf dem Rückzug war.

Die Zahl der Todesopfer kann nur geschätzt werden. Im Abschlussbericht der Elie-Wiesel-Kommission, die 2004 die rumänische Verantwortung im Holocaust untersuchte, wird von 115.000 bis 180.000 ums Leben gekommenen ukrainischen Jüdinnen und Juden ausgegangen. Von den 150.000 nach Transnistrien deportierten rumänischen Jüdinnen und Juden starben zwischen 105.000 und 120.000. Von den rund 25.000 deportierten Rom:nja überlebte wenig mehr als die Hälfte.

Ein rumänischer Offizier dekoriert einen deutschen Soldaten, Ukraine, 1943
Ein rumänischer Offizier dekoriert einen deutschen Soldaten, Ukraine, 1943 Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg
Nach Transnistrien deportierter jüdischer Junge, 1943/44.
Nach Transnistrien deportierter jüdischer Junge, 1943/44.