»Sie haben uns belogen und betrogen«
Ghiocel Stănescu – județul (Kreis) Galați * 1926
Zeitzeug:innen
Hintergründe
Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze
Projekt
Ghiocel Stănescu
Die rumänische Polizei versprach der Familie von Ghiocel Stănescu Grundstücke und Häuser, wenn sie an den Bug gingen. Vor Ort angekommen wurden ihnen die Wagen und Pferde abgenommen und sie mussten Zwangsarbeit leisten.
Eines Tages hat die rumänische Polizei zu uns gesagt: „Los! Ihr sollt an den Bug gehen, nach Russland! Innerhalb von soundsoviel Zeit sollt ihr bereit sein.“ Wir sind mit 50 Pferdekarren gezogen. Ich bin mit meinem Vater, meiner Mutter, fünf Brüdern und drei Schwestern gegangen. Die Gendarmerie hat uns versprochen, uns Grundstücke und Häuser zu geben. Aber sie haben uns nur getäuscht und betrogen.
Die Gendarmerie hat uns angeführt. Immer wenn wir in eine Gemeinde kamen, übernahm uns eine andere Gendarmeriestation. Und so hat man uns über den Pruth gebracht und über den Dnister. Die Gendarmerie immer vorne und hinten. Bis wir in Russland, dort am Bug, ankamen. Dort hat man uns die Wagen, die Pferde, die Maultiere weggenommen und hat sie in die Kolchose gesteckt. Mein Vater hatte vier Pferde und Maultiere und einen guten Wagen. Wir mussten zur Arbeit gehen, Weizen ernten und das Heu einbringen. Als meine Mutter sich geweigert hat, zur Arbeit zu gehen, kam der Brigadeleiter, ein Russe, und hat sie mit einem Stock auf den Kopf geschlagen.
Als der Winter kam, hat man ein Erdhaus gemacht. Drei Meter tief wurde gegraben, dann Holz und Erde drüber. Ohne Tür, ohne Fenster. Wir sind einen Winter geblieben. Im Frühjahr hat man uns in die Nähe von Tridubi gebracht. Dort mussten wir in einem Wald arbeiten. Man hat uns eine Säge und Äxte gegeben. Und wir sägten. Solche großen Stämme, so breit wie wenn man drei Menschen umarmt. Ich bin auch hingegangen, mit Vater. Aber wir hatten Angst, weil wenn ein Baum herunterfiel, fiel er 100 Meter, vielleicht mehr. Wir haben bis zum Winter gearbeitet.
Dort in der Nähe gab es auch Juden. Sie waren in einem Lager, es gab einen Zaun mit einem sechs Meter hohen Stacheldraht. Nicht einmal ein Spatz konnte hinüber.
Später hat man uns in eine Kolchose gesteckt, die anderen in Häuser. Wir sind bis zum Frühjahr geblieben. Dort gab es einen rumänischen Kommandanten. Der sagte: „Bulibascha [Anführer der Roma], willst du hier in Russland bleiben, oder willst du nach Rumänien gehen? Nein, ich gehe nach Rumänien, wir sind nämlich dort aufgewachsen und getauft.“ Denn die Deutschen kamen zurück. „Wenn die Zeit kommt, von hier aufzubrechen, gebe ich euch Bescheid“, sagte der Armeeoberst. Als die Zeit gekommen war, sagte er: „Los! Bulibascha, sag deinen Leuten, dass sie sich vorbereiten sollen. Wir gehen nach Rumänien.”
Als wir am Dnister ankamen und über den Fluss setzen wollten, liefen dort zwei Deutsche. Mutter hat dem älteren Bruder gesagt, lass uns von hier weggehen, sonst erschießen uns die Deutschen. Wir kamen nicht mehr weiter, man hat uns nicht gelassen. Wir sind noch etwa drei Monate in Bessarabien geblieben. Das Gelbfieber hat uns dort erwischt und viele Leute sind gestorben. Wenn einer nicht mehr gehen konnte, setzten ihm die Deutschen die Pistole an den Kopf und erschossen ihn.
Wir haben uns sehr geplagt, um endlich über den Pruth [nach Rumänien] zu kommen. Wir starben fast vor Hunger, wir aßen nur Weizenkörner. Ein Schneesturm ist gekommen und hat drei Tage angehalten. Wir machten ein Feuer, wärmten den Schnee auf und kochten in dem Wasser unsere Körner.
Und als wir, verzeihen Sie, pissen mussten, pissten wir in die Erbsendose, und wärmten uns am Urin. Wir haben uns sehr gequält und haben es gerade noch nach Rumänien geschafft.
In Krasnenke, wo Ghiocel Stanescu zeitweise im Lager war, erinnert seit einigen Jahren dieses Denkmal an das Schicksal der Roma. Es entstand aus Eigeninitiative eines örtlichen Landwirts.
Die Bevölkerung Krasnenkes war irrtümlicherweise der Ansicht, die deportierten Roma kämen aus Serbien, so dass die Inschrift des Denkmals ihnen eine serbische Herkunft zuschreibt.
Die Bürgermeisterin von Krasnenke, Tetiana Kondratschuk, zeigt den Teilnehmern der Projektreise die Stelle, an der 1942-1943 zahlreiche Roma in Erdhütten untergebracht waren. Heute steht hier ein Wald, voller Senken.