»Ganze Familien starben da draußen«

Antonina Terentievna Sikorska geb. 1930 aus Krasnencoe

Antonina Terentievna Sikorska Zeitzeugin aus Krasnenkoe (heute Moldau) und ihre Tochter Nadja Markivna berichten über die Deportation von Rom:nja nach Krasnenkoe.

“Viele, viele sind erfroren. Das ganze Tiefland war bis auf die Wurzeln abgeholzt. Womit sollte man heizen? Ganze Familien starben da draußen. Es war schrecklich.“

und die Tochter Nadja Markivna

„Sie erzählten, dass die Rumänen ihnen viel versprochen hatten. Sie hatten ihnen gesagt, dass sie hier bessere Häuser erhalten werden. Zu Hause hatten sie ihren ganzen Besitz gelassen, mitgenommen haben sie nur das, was sie konnten. Und als sie hier ankamen, sahen sie, dass sie getäuscht wurden, dass sie gekommen waren, um zu sterben, vor Kälte und vor Hunger.“

Antonina Terentievna Sikorska
Antonina Terentievna Sikorska

Es war etwa Mitte November, die Blätter waren nicht mehr auf den Bäumen. Und da schickte man sie her. Sie kamen im November 1942, und als im Jahr 1944 die Unsrigen kamen, verschwanden sie wieder.

Wir wussten, dass Roma kommen werden. Man hat die Bevölkerung von Tridubi, Oniskove und Krasnenke vorgewarnt und sie mussten diese „bordeie“ graben, diese Wohnhöhlen. Man grub ein knietiefes Loch in der Erde, aus Ästen machte man ein Dach, bedeckte es mit Erde und machte ein Loch für den Schornstein. Den ganzen Tag bis in den Abend hinein kamen sie. Man sagte, es waren 5000. Alle gingen sie in das Tiefland beim Fluss, wo die bordeie waren.

Man sagt, Roma sind Serben aus Jugoslawien, die in den Bergen lebten, und keine Waffen in die Hand nahmen. Wir wissen nicht, ob sie Serben waren. Aber sie waren aus den Bergen, denn sie hatten Esel. Die Esel laufen durch die Berge.

Pferde und Esel wurden ihnen über Nacht weggenommen. Man hat sie mit leeren Händen zurückgelassen. Am Anfang gab man ihnen noch Fleisch, dann Maismehl und danach Mais. Aber man gab es ihnen nur ein Mal, danach sollten Sie selbst verdienen.

Sie waren hervorragende Handwerker. Sie hatten eine Menge Kupfer, und sie machten Schüsseln. Manche Leute im Dorf haben bis heute diese Roma-Schüsseln. Sie waren dick, nicht wie unsere, dicke, gute. Sie machten Backformen, und unsere Leute buken in diesen Formen das Brot.

Kochtopf eines rumänischen Rom, der 1942 nach Transnistrien deportiert worden war. Töpfe wie diese stellten auch die Deportierten in Krasnenke her. United States Holocaust Memorial Museum Collection.

Kochtopf eines rumänischen Rom, der 1942 nach Transnistrien deportiert worden war. Töpfe wie diese stellten auch die Deportierten in Krasnenke her.

United States Holocaust Memorial Museum Collection.

Es gab einen Markt, am Ende des Dorfes. Man hat den Roma nicht erlaubt, sich im Dorf aufzuhalten. Es wurde alles bewacht. Die Rumänen achteten darauf, dass sie keinen Kontakt hatten. Sie schafften es trotzdem, wenn der Hunger sie trieb.

Ja, diejenigen, die etwas arbeiten konnten, die lebten, sie bekamen Mehl oder Geld. Im Sommer feierten sie Hochzeiten. Und was für Hochzeiten! Die Musik war zu hören bis zu uns.

Ein paar Frauen, wunderschöne Mädchen, verdienten mit Wahrsagen: „Tartar, Tartar, sag mir die Wahrheit, ist mein Mann noch am Leben?“ Das übersetze ich. Sie sprachen es in eigener Sprache. Sie hörten Muscheln zu, in deren Sprache heißt es „Tartaret“. Sie hörten, ob es rauscht. Und wenn es rauscht, dann ist der Mann am Leben.

Aber es gab auch welche, die gar nichts arbeiten konnten. Die waren unglücklich und arm. Wenn sie betteln gingen, schlugen die rumänischen Polizisten sie. Sie waren barfuß, auch im Winter, mit beängstigend geschwollenen Beinen, und sie bettelten um ein bisschen Brot. Damals waren die Winter noch hart, es war 1942/43 eine große Kälte. Viele, viele sind erfroren. Das ganze Tiefland war bis auf die Wurzeln abgeholzt. Womit sollte man heizen? Ganze Familien starben da draußen. Es war schrecklich.

Nach dem Krieg, nach der Befreiung, bestellte die Kolchose das Tiefland. Dabei entdeckte man viele menschliche Schädel und Knochen. Dann beschloss man, Kiefern zu pflanzen.

Möge Gott euch Glück und Gesundheit geben. Erzählt den Menschen weiter, was passiert ist!


Die Tochter von Antonina Terentievna, Nadja Markivna, ergänzt das Interview:

Ich kann sagen, dass wir alles wussten, unsere Großmütter erzählten uns alles über diese Roma. Aber dieses Thema wurde verschwiegen. Nirgendwo wurde es erwähnt oder erforscht. Der Leiter unseres Kulturhauses war eine sehr aktive Person, aber das Thema wurde nicht erforscht.

Aber vor drei oder vier Jahren sprach man über solche historischen Ereignisse und die Notwendigkeit, sie zu erforschen und zu zeigen. In unserer Schulkonferenz beschloss man, alle Zeitzeugen zu befragen und alles zu dokumentieren. Hier lebte eine Frau, sie starb inzwischen, sie erzählte zusammen mit meiner Mutter, wie die Roma die Eimer reparierten, als die kaputt gingen. So reparierten sie Eimer und gruben Gärten um.

Sie erzählten, dass die Rumänen ihnen viel versprochen hatten. Sie hatten ihnen gesagt, dass sie hier bessere Häuser erhalten werden. Zu Hause hatten sie ihren ganzen Besitz gelassen, mitgenommen haben sie nur das, was sie konnten. Und als sie hier ankamen, sahen sie, dass sie getäuscht wurden, dass sie gekommen waren, um zu sterben, vor Kälte und vor Hunger. Die Großmutter meines Mannes erzählte auch, dass sie zu ihr kamen, um sich zu wärmen. Sie kamen barfuß, Blut floss aus ihren Füßen. Diese schreckliche und tragische Geschichte soll erforscht werden.

Antonina Terentievna Sikorska beim Interview durch die Projektgruppe
Antonina Terentievna Sikorska beim Interview durch die Projektgruppe