»Sie lebten hier wie im Käfig. Nein, sie starben. War das etwa ein Leben?«
Antonina Gigorivna Peskun
Zeitzeug:innen
Hintergründe
Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze
Projekt
Antonina Gigorivna Peskun aus Kozîrka (heute Ukraine) berichtet als Zeitzeugin über die Deportation von Rom:nja nach Transnistria.
Nach dem Krieg hat sich dafür niemand interessiert. Weder Rumänen noch Deutsche waren hier. Ich erinnere mich nicht, dass jemand gekommen wäre, um die Leute zu befragen. Es ist in Vergessenheit geraten und niemand fragte mehr danach. Heute ist niemand mehr am Leben, den man fragen kann. Ich bin die einzige, die noch etwas erzählen kann.
Zu uns ins Dorf haben sie Roma geschickt. Es ist mir unverständlich, warum. Es hieß damals, dass die Deutschen sie hergebracht haben, aus Bessarabien und Rumänien. Wir mussten unser wunderschönes Haus verlassen, und wurden in eine andere Straße gebracht. So ging es allen hier. Und in unsere Häuser wurden die Roma einquartiert, teilweise auch in Erdlöcher, die wir damals hier hatten. Ungefähr 200 Roma hatten sie hergebracht. Und es waren solch schöne Leute.
Einige von ihnen waren reich. Sie tauschten Ringe und Ohrringe um. Später haben sie Ohrringe und Ringe selber hergestellt und sie für ein Stück Brot getauscht. Aber die meisten lebten in Armut, so wie wir auch. Sie litten an Kälte und Hunger, viele sind daran gestorben. Die Rumänen haben ihnen nichts gegeben. Nachdem sie sie hergebracht hatten, scherten sich die Rumänen nicht um sie, sie sollten ins Verderben gehen. Die Roma liefen herum und bettelten um Brot und Mehl. Aber wir hatten ja selbst fast nichts. Sie verkauften ihre Kleidung, sehr gute Kleidung, für Brot. Sie gingen durchs Dorf, klopften an die Türen und riefen immer „Uh…uh…“. Das war ein Schrei des Hungers. Gestorben sind diese jungen Leute, solche schönen Menschen, nackt sind sie gestorben, und waren starr vor Kälte.
Ich weiß nicht, ob sie am Fluss waren, um Fische zu fangen. Ob sie überhaupt an den Fluss gehen durften. Die Roma sammelten Pflanzenbündel, es war eigentlich Unkraut. Man konnte damit Feuer machen, und das trugen sie von Haus zu Haus, um dafür Mehl zu bekommen. Es gab ein Mädchen, das Kühe melkte. Manchmal tanzte es auch, um ein Brot zu erbetteln. Richtige Arbeit gab es nicht für sie. Sie lebten hier wie im Käfig. Aber nein, sie starben. War das etwa ein Leben?
Was die Roma erlebten, der Herr möge Erbarmen haben! Sie hatten keine Unterstützung, weder von den Deutschen, noch von den Rumänen. Sie waren nur hergebracht worden, um zu sterben. Ich brachte ihnen Essen. Warum – damit sie unser Haus nicht verbrennen. Der Winter war kalt, und sie holten die Dachlatten und verbrannten sie, auch die Sommerküche. Man darf sie nicht dafür verurteilen, sie haben ja nur ihr Leben gerettet. Womit sollten sie sich denn sonst wärmen? Wir hatten keine Angst, dass die Roma uns etwas Böses antun könnten. Dass sie etwas Schlechtes getan hätten, gestohlen oder andere geschlagen – das gab es von ihrer Seite nicht.
Ihre Leichen hat man manchmal einfach in den Fluss geworfen, manchmal kamen sie auf den Friedhof. Ich bin nicht sicher, ob man Gräber für sie gemacht hat. Man sagte, dass die Grube wie ein Massengrab war. Der Friedhof war ja am Steilhang, und dort gab es später einen Erdrutsch, alles rutschte ins Wasser. Alle sagten damals, die Romaknochen liegen im Fluss und am Ufer herum. Wann sie fortgingen, weiß ich nicht mehr genau. Es war noch unter den Rumänen. Aber es waren nur noch wenige. So viele sind umgekommen.
Nach dem Krieg hat sich dafür niemand interessiert. Weder Rumänen noch Deutsche waren hier. Ich erinnere mich nicht, dass jemand gekommen wäre, um die Leute zu befragen. Es ist in Vergessenheit geraten und niemand fragte mehr danach. Heute ist niemand mehr am Leben, den man fragen kann. Ich bin die einzige, die noch etwas erzählen kann.
Die Abteilung für Arbeit des Kreises Beresowka schreibt am 10. Februar 1944 an die Justizabteilung der Militärverwaltung:
„Im Dezember wurde vom Kreis Oceacov ein Teil des Rayons Varvarovca übernommen, in dem auch die Ortschaften Covaleovca und Trihati mit einer Bevölkerung von 7500 Zigeuner liegen, die in einem Dorf untergebracht und zusammengepfercht wurden, in dem normalerweise 800-1000 Seelen wohnten […] Etwa Mitte Dezember 1942 brach eine Flecktyphusepidemie aus, durch die die durchschnittliche Anzahl der Toten auf 200-250 pro Tag anstieg. Wegen der hohen täglichen Anzahl von Toten konnten die Leichen nicht identifiziert werden. Zudem warfen die Zigeuner die Leichen in abgebrannte Häuser und Ställe, in die Büsche oder auf die Straße. Auf allen diesen Leichen tummelten sich die Flöhe in einer fast fingerdicken Schicht. Wegen der oben genannten Gründe war es unmöglich, eine Übersicht über die Lebenden und Toten zu führen. Nach der Eindämmung der Epidemie blieb im Dorf eine Bevölkerung von etwa 1800-2400 Seelen übrig, die schließlich das Dorf verlassen hat, so dass wir hier keinen Einzigen mehr haben.“