»Keiner war mehr da, weder meine Mutter noch meine Brüder«

Olga Pawliwna Woloschyna, geb. 27.Dezember 1928


Im Juli 1942 nahmen die deutschen Besatzer, unterstützt von ortskundigen Polizisten, in Schytomyr zahlreiche Roma fest, um sie zu erschießen. Olga Woloschyna ist vermutlich die einzige Überlebende dieses Massakers, bei dem sie ihre beiden Brüder, ihre Mutter und eine Nichte verlor.

Olga Pawliwna Woloschyna
Olga Pawliwna Woloschyna
Audio: Bericht Olga Pawliwna Woloschyna

„Die Deutschen kamen früh am Morgen. es waren alle noch in ihren Häusern. Meine Mutter sagte zu meinem Bruder Kolja: „Sie sind wohl unseretwegen hier, um uns zu erschießen.“ Es hatte schon solche Gerüchte gegeben. Die Juden und Parteimitglieder hatten sie ja schon erschossen. Sie sagte zu mir: „Olga. lauf durch den Garten zum Onkel und sieh nach, ob er auch schon abgeholt worden ist.“

„Als ich bei ihm ankam. Erzählte seine Nachbarin schon, dass sie vom Hügel aus gesehen hat, wie meine Brüder und meine Mutter auf den Lastwagen geladen worden waren. Drei große Lastwagen voller Roma haben sie vollgeladen. Ein paar Minuten später kamen ein ukrainischer Polizist und zwei Deutsche in das Haus meines Onkels. Er, seine Frau, die Tochter und die alte Schwiegermutter wurden rausgejagt. Ich selbst saß im Garten und habe alles beobachtet. Der Polizist wollte von mir wissen, wo meine Mutter ist. Ich schwieg. Er wieder: „Wo Ist die Mama?“ Ich schwieg weiter. Ich hatte schon kapiert, dass es ums Erschießen geht. Da rief der Onkel herüber: „sie gehört nicht zu uns, sie ist von einer Nachbarin, einer Ukrainerin: Und die Schwiegermutter rief sie sei Ukrainerin, und Ich sei Ihre Enkelin.“ Trotzdem wurden der Onkel und seine Familie auf den Wagen geladen. Danach fuhren sie ab. Zum Polizisten sagte ich dann: „ Herr, lch kenne Sie doch.“‚ Er darauf: „bist du Olga?“ Ich sage: „Ja.“ „und wo ist Kolja?“‚ Ich sage: „Er ist doch dort auf dem Wagen, bei Ihnen.“ Schließlich ließ er mich da im Garten sitzen.

Als die Lastwagen weg waren, ging ich durch die Gärten nach Hause zurück. Keiner war mehr da, weder meine Mutter noch meine Brüder, niemand von der Familie. Ich heulte zum Steinerweichen. Dann rannte Ich nach Bohunia. Ich wusste. dass sie dort erschossen worden waren. Ich warf mich auf die Gräber. Die Erde unter mir bewegte sich, als ob sie atmet.

So blieb ich als Waisenkind zurück. Eine alte Oma, eine Ukrainerin, kümmerte sich um mich. Sie sagte: „Olga, schrei und jammere nicht, sonst kommen sie wieder und erschießen uns beide.“

„Die Deutschen haben Immer gedacht, dass die Roma die Partisanen unterstützen. Und natürlich haben wir das getan. Viele meiner Verwandten waren In den Einheiten von Korotschenko und Kowpak. Solange Roma noch mit Pferdefuhrwerken fuhren, haben sie auch Waffen für die Partisanen transportiert. Oftmals, wenn unsere Frauen herumgingen, angeblich um wahrzusagen, haben sie Lebensmittel zu ihnen gebracht, Kartoffeln, Grütze usw. Was wir hatten, haben wir mit den Partisanen geteilt.“

Kriminalakte 3971 (SBU-Archiv in der Oblast Schytomyr)
Kriminalakte 3971 (SBU-Archiv in der Oblast Schytomyr)
Auszug aus dem Protokoll des Beschudigten Grigorji Ossadtschuk eines der an der Mordaktion beteiligten Ukrainischen Polizisten vom 21.02.1944
Auszug aus dem Protokoll des Beschudigten Grigorji Ossadtschuk eines der an der Mordaktion beteiligten Ukrainischen Polizisten vom 21.02.1944

„Im Frühjahr 1941 war ich zusammen mit anderen Agenten der Kriminalpolizei der Gestapo an der Massenverhaftung von Roma beteiligt, die von den deutschen Behörden vernichtet werden sollten – Sie wurden als Angehörige der Roma Nationalität erschossen und ihnen wurde lediglich vorgeworfen, Roma zu sein, und deshalb sollten sie vernichtet werden.

Eines Tages, ich erinnere mich nicht mehr an das Datum, im Frühjahr 1942, nach der Arbeit, rief Chef Kuzmin alle Polizisten zu sich und wies uns an, um drei Uhr Nachts zur Abteilung der Kriminalpolizei zu kommen, von wo wir zu einer Operation abkommandiert werden sollten, aber niemand wusste, was genau und wohin. In der Tat wurde um drei Uhr Nachts eine Massenoperation zur Verhaftung von Roma durchgeführt, an der ich direkt beteiligt war.

Die Gestapo Mitarbeiter brachten alle verhafteten Roma mit ihren ganzen Familien zu den Autos und fuhren sie weg, aber ich weiß nicht, wo sie sie erschossen haben….“

Ort Olga Pawliwna Woloschyna
Ort Olga Pawliwna Woloschyna