Rom:nja in der Ukraine, in Belarus und Russland heute
Diskriminierung ist an der Tagesordnung
Zeitzeug:innen
Hintergründe
Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze
Projekt
Soziale Situation
Die Situation vieler Rom:nja ist sowohl in der Ukraine als auch in Belarus und Russland von weitverbreiteter Diskriminierung und Armut gekennzeichnet. Als nach dem Zerfall der Sowjetunion Großbetriebe in Industrie und Landwirtschaft aufgelöst wurden, bedeutete dies insbesondere für viele Angehörige der Rom:nja-Minderheit eine Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage, die bis heute anhält.
Rom:nja erfahren heute eine signifikante Verletzung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Sie haben einen schlechteren Zugang zu Wohnung, Gesundheit und Bildung, sie werden Opfer institutioneller und struktureller Diskriminierung sowie rassistischer Gewalt.
Rassismus
Bevölkerungsumfragen in der Ukraine wie in Russland zeigen, dass Rom:nja zu den am wenigsten akzeptierten Minderheiten gehören: 41 Prozent der befragten Ukrainer erklärten 2016, sie seien dagegen, dass sich Rom:nja im Land aufhielten; in Russland äußerten 2019 auf eine ähnliche Frage 43 Prozent der Befragten die gleiche Meinung.
In Russland wie auch in der Ukraine kam es in der jüngeren Vergangenheit immer wieder zu regelrechten Pogromen gegen Rom:nja. Täter sind zum Teil nationalistische bzw. rechtsextreme Organisationen, zum Teil Angehörige eines spontanen Mobs, der sich aus Anlass einer Straftat bildet, die Rom:nja zugeschrieben wird. Der Mob wütet in Rom:nja-Siedlungen, zündet Autos und Häuser an, bisweilen ordnen die Stadtverwaltungen daraufhin die Vertreibung der Rom:nja-Bevölkerung an.
Häufig werden Hassverbrechen an Rom:nja von den Behörden in der Ukraine und in Russland als unpolitisch verharmlost, und die Täter genießen Straffreiheit.
In allen drei Staaten sind auch Institutionen des Staates an der Diskriminierung von Rom:nja beteiligt. Die Polizei übt häufig die Praxis des „Racial Profiling“, also der anlasslosen, willkürlichen Kontrolle von Rom:nja, aus.
Staatspolitik
In öffentlichen Schulen insbesondere in Russland werden Rom:nja häufig in separaten Klassen unterrichtet, in denen der Unterricht von erheblich schlechterer Qualität ist. Den Kindern wird damit jede Chance genommen, dem Teufelskreis von Armut und schlechter Bildung zu entgehen. In manchen Regionen müssen Rom:nja beim Schulessen an separaten Tischen sitzen und dürfen die Toiletten nicht benutzen. Auch aus Belarus und der Ukraine wird von einem systematischer Ausschluss von Roma-Kindern im Unterricht berichtet, die dazu führt, dass viele Rom:nja öffentliche Bildungseinrichtungen als Teil umfassender Diskriminierung erleben.
In Russland wie in der Ukraine haben zahlreiche Rom:nja keine Papiere, die sie als Staatsbürger ausweisen – z. T. wurden die alten sowjetischen Pässe nicht umgetauscht. Zudem haben viele Rom:nja über die seit Generationen in ihrem Besitz befindlichen Grundstücke und Häuser keine dokumentierten Eigentumstitel. Gerade in Russland kommt es daher immer wieder zum Abriss solcher Häuser, wenn die örtliche Verwaltung Straßen oder Gasleitungen bauen will; einen adäquaten Ersatz erhalten die betroffenen Rom:nja nicht.
Aus Belarus wird berichtet, dass viele Arbeitgeber vakante Stellen als bereits vergeben deklarieren, wenn sich Rom:nja bewerben. Häufig verbergen diese deswegen ihre Identität und geben sich, um etwaige dunklere Hauttöne oder ungewöhnliche Namen zu erklären, als Abkömmlinge georgischer, spanischer oder anderer Einwanderer aus.
Die Regierungen selbst ignorieren ihre Verpflichtungen zum wirksamen Schutz der Rom:nja-Minderheit. Wenn es überhaupt Förderprogramme gibt, sind diese selbst von antiziganistischen Vorannahmen geprägt. Ein staatliches russisches Programm etwa behauptet, das Risiko „interethnischer Spannungen“ entstehe aufgrund „bestimmter ethnokultureller Merkmale der Roma“, und fordert ihre „soziokulturelle Anpassung“. Institutionelle und strukturelle Formen von Diskriminierung werden von offizieller Seite nicht thematisiert.
Ein Monitoring antiziganistischer Vorfälle gibt es in keinem der drei Länder. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Memorial oder das Helsinki-Komitee, die in der Vergangenheit Missstände anprangerten und vereinzelte Verbesserungen erreichen konnten, sind in Russland und Belarus seit dem Jahr 2020 sukzessive verboten worden. In Russland stellt die Romni-Wissenschaftlerin Nadeschda Demeter eine wichtige Stimme zur Verteidigung der Rechte von Rom:nja dar. Die Präsidentin des Regionalrats der Föderalen National-Kulturellen Autonomie der russischen Roma positioniert sich öffentlich gegen die Praxis des „racial profiling“ durch die Polizei und fordert die Zurückdrängung der antiziganistischen Hetze, die nationalistische Gruppen im Internet betreiben. In Belarus versucht die Belarusische Roma-Diaspora im direkten Gespräch mit kommunalen Funktionsträgern Lösungen für konkrete Probleme zu erreichen. In der Ukraine gibt es eine Vielzahl von Roma-Organisationen, die kulturell, sozial oder dezidiert politisch aktiv sind.
Selbstorganisationen
In Belarus gibt es mehrere Rom:nja-Verbände und Selbstorganisationen, die sich im Bereich der Bildungsarbeit, der sozialen Betreuung, kulturellen Tätigkeit und Arbeitsvermittlung engagieren. In den letzten Jahren gibt es auch mehr Verbindungen und aktive Zusammenarbeit mit internationalen Verbänden z.B. der IRU (International Romani Union). In unserem Projekt arbeiteten wir mit der auf nationaler Ebene wirkenden Belarussischen Roma-Diaspora und dem im Raum Gomel wirkenden Verein »Romano Drom« zusammen.

