»Man hat sie umgebracht, weil sie Roma waren. Das ist genau der Grund, warum sie erschossen wurden.«
Walerij Dmitrijewitsch Muratschkowskij geb. 1949
Zeitzeug:innen
Hintergründe
Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze
Projekt
Walerij Dmitrijewitsch Muratschkowskij
Walerij Dmitrijewitschs Mutter ist dem Massaker von Aleksandrowka knapp entgangen, weil sie zufällig zu Besuch bei Verwandten in einem anderen Dorf war. Dennoch verlor er zahlreiche Verwandte. Die Erinnerung an den Genozid spielt bis heute eine wichtige Rolle in seinem Leben.
Die Mutter von Walerij Dmitrijewitsch Muratschkowskij gehörte zu den Arbeiter:innen der Kolchose „Stalins Verfassung“ bei Aleksandrowka, in der neben einigen Russen vor allem Rom:nja arbeiteten. Als die Deutschen im April 1942 die Rom:nja ermordeten, starben auch die Großmutter, Marfa die Tanten Soja und Ljuba (sie waren 15 und 14 Jahre alt) und der siebenjährige Onkel Kolja von Walerij Dmitrijewitsch.
Zu den Überlieferungen der Überlebenden, die Walerij Dmitrijewitsch mit uns teilte, gehört, dass die Deutschen am 24. April 1942 einige Männer zwangen, Gräben auszuheben. Die anderen warteten: „Manche standen, manche saßen, manche weinten, manche schrien vor Angst. Man hob das Grab aus, und danach kamen die SS-Leute zu den kleinen Kindern und warfen sie ins Grab.“ Es folgten Mütter, Schwestern, Ehefrauen. Die Deutschen eröffneten das Feuer auf sie. Wenn jemand versuchte, aus dem Grab herauszukommen, wurde er zurückgestoßen und erschossen.
„Es gab eine Familie, in der eine alte Romni gelähmt war. Als die Deutschen in ihr Haus kamen, begannen sie, sie zu schubsen und mit einem Sturmgewehr zu schlagen, um sie zum Aufstehen zu bewegen. Ihre Söhne erklärten den Deutschen, dass sie gelähmt sei. Dann befahlen die Deutschen, sie auf eine Decke zu legen, und ihre 4 Söhne trugen sie zum Grab. Dort wurden sie dann auch erschossen.“
Walerij Dmitrijewitsch berichtet, der Ort der Massenerschießung sei von den Deutschen noch 24 Stunden bewacht worden. Wie überliefert worden sei, habe sich niemand den Gruben nähern dürfen, aus denen das Stöhnen der noch lebenden Menschen zu hören gewesen sei.
Walerij Dmitrijewitsch gibt ein Beispiel darüber, dass einige Rom:nja mit heller Hautfarbe von den Deutschen verschont worden waren: Eine Frau habe sich einem deutschen Offizier genährt, ihre Bluse zerrissen und ihm die nackte Brust gezeigt: „Ich bin Russin, mein Körper ist weiß!“ Sie sei freigelassen worden.
Walerij Dmitrijewitsch betont, dass sämtliche Rom:nja von Alexandrowka sesshaft gelebt und friedlich gearbeitet hätten. „Man hat sie umgebracht, weil sie Roma waren. Das ist genau der Grund, warum sie erschossen wurden.“
Die Mutter von Walerij Dmitrijewitsch arbeitete in der Bäckerei der Roma-Kolchose. Zwei Tage vor dem Massaker ging sie in ein anderes Dorf, um dort Verwandte zu besuchen. Diesem Umstand verdankt sie ihr Überleben.
Bis heute besucht Walerij Dmitrijewitsch an besonderen Gedenktagen als Vertreter der ersten Nachkriegsgeneration die Gräber seiner Verwandten und versucht, seinen Enkeln und Urenkeln die Erinnerung an die tragische Vergangenheit seiner Familie zu vermitteln.
Rom:nja Kolchose „Stalins Verfassung“
die Kolchose „Stalins Verfassung“ wurde 1937 gegründet. Sie befand sich bei Smolensk im Dorf Alexandrowka. Die Kolchose war zwar eine ethnisch gemischte wurde jedoch zumindest zeitweise von Rom:nja geleitet.
Diese „nationalen“ Kolchosen wurden in den 1920er bis 1930er Jahren im Rahmen der sowjetischen Nationalitätenpolitik gegründet.
In diesen Kolchosen wurden auch „nationale“ Klassen eingerichtet, in denen die Kinder neben Russisch in ihrer jeweiligen Muttersprache Unterrichtet wurden.
Die Mehrzahl der Rom:nja- Bauern in der Region Smolensk war bereits seit Generationen Sesshaft und betrieben Landwirtschaft. Daher waren die Kolchosen in diesem Gebiet auch Erfolgreich, sie erzielten relativ hohe Erträge und gewannen Wettbewerbe.
Die Geschichte der Augenzeugin des Massakers in Alexandrowka Lidija Krylowa wird in Beitrag auf dekoder.org sehr gut dokumentiert: https://war.dekoder.org/de/nur-weil-sie-roma-sind