»Ich war erst sechs. Aber ich merkte mir alles. Wie man sich versteckte, wie man flüchtete, wie getötet wurde.«
Halyna Iwaniwna Kyrytschenko – * 28.November 1935
Zeitzeug:innen
Hintergründe
Rassismus gegen Rom:nja und Sinti:zze
Projekt
Halina Iwaniwna Kiritschenko
Nachdem ihr Bruder getötet wurde, entschloss sich die Familie von Halyna Kyrytschenko zur Flucht. Großvater, Mutter und fünf Kinder versteckten sich erst im Wald, später auf einer Sowchose, deren Direktor ebenfalls Rom war. Sie spricht auch über ihre Gefühle gegenüber Deutschen.
Als die Deutschen kamen, warf mein Großvater Stroh auf den Boden, streute Asche aus dem Ofen darüber und begoss alles mit Kerosin. Er wollte nicht, dass die Deutschen bei uns übernachten und sie merken, dass wir Roma sind. Es sollte den Deutschen stinken. Und tatsächlich, als sie ins Haus kamen, stank es so elend, dass sie gleich wieder fortgingen.
Anfangs hatten sich die Leute gefreut, dachten, es wäre unter den Deutschen besser. Aber bald schauten sie genauer hin: Die Deutschen ermorden die Menschen, sie foltern und töten.
Äußerlich hat man uns kaum angesehen, dass wir Roma waren. Wir trugen die gleiche Kleidung wie die Ukrainer, und die meisten von uns waren hell. Nur mein Vater und mein Bruder Anton waren dunkel. Als die Deutschen meinen Vater sahen, stürmten sie auf ihn zu und wollten ihn gleich im Haus erschießen. Sie schrien: Jude! Zigeuner! Die Mutter erwiderte: „Kaine Jude“ [auf deutsch; Anm. des Projektteams]. Sie zeigte ihnen seinen Ausweis. Darin stand „Ukrainer“. Später haben sie ihn dann doch geholt. Als er wieder kam, war er krank und starb zwei Wochen später.
Meinen Bruder Anton haben sie auch getötet. Er lief auf der Straße herum, die Mutter hatte ihm ein Kleidchen angezogen, damit er wie ein Mädchen aussieht. Denn man sagte, dass die Jungen von Deutschen zerrissen würden. Aber er wurde geschnappt, sie schauten, ob er ein Mädchen oder ein Junge ist. Und sie zerrissen ihn.
Anfangs musste meine Mutter weiter auf der Kolchose arbeiten. Auf dem Rübenfeld lief einmal ein Deutscher herum und schrie mich an, dass ich die Käfer aufsammeln soll. Ich dachte, wenn ich nicht folge, würde er mich schlagen oder umlegen. Das hatte ich schon kapiert, dass die Deutschen alle erschießen können.
Wir hörten, dass da und da Roma erschossen wurden. Ich hörte ja, was die Alten redeten. Verwandte von uns wurden bei Lubny erschossen, eine ganze Familie, nur eine Frau überlebte. Die Mutter und der Großvater beschlossen zu fliehen. Für eine Weile lebten wir in einer Erdhütte im Wald. Die Leute in den Dörfern halfen uns. Sie hatten Mitgefühl, nicht so wie heute.
Später gingen wir Richtung Tscherkassy, dort gab es eine Sowchose, die von einem Rom geleitet wurde. Das sah man ihm aber nicht an, weil er hell war. Er stellte uns ein, weil ihm klar war, dass wir sonst alle umkommen würden. Manchmal gab es einen Anruf aus der Stadt: „Gibt es Roma bei Euch?“ Er sagte: „Nein.“ So schützte er uns, bis die Unsrigen kamen.
Wenn ich die Deutschen heute sehe, muss ich weinen. Sie haben so viel Leiden gebracht, die Schweinehunde ! Unsere Politiker verbrüdern sich jetzt mit ihnen. Was sind sie denn für Brüder? Sie töteten und erhängten uns, sie schossen auf unsere Roma, unsere Juden.