»Bis ich erfahren habe, dass die Deutschen Roma erschießen, habe ich mich nicht als Rom empfunden.«

Iwan Kornijowytsch Bilaschtschenko, geb. 9. Mai 1926


Iwan Kornijowytsch Bilaschtschenko


Manchmal machte erst die Verfolgung durch die Deutschen den Verfolgten in ganzem Umfang bewusst, dass sie Roma sind. Iwan Bilaschtschenko berichtet, wie er von der tödlichen Gefahr durch die Deutschen erfuhr, ihnen zweimal davonlief, mit Hilfe der Nachbarn überlebte, und in die Rote Armee einberufen wurde. Nach dem Krieg bekam er eine Ehrenurkunde des Oblast Tscherkassy für Mut und Opferbereitschaft.

Iwan Kornijowytsch Bilaschtschenko in Uniform
Iwan Kornijowytsch Bilaschtschenko
Audio: Bericht Iwan Kornijowytsch Bilaschtschenko

„Nachts konnte ich nicht normal schlafen. Man geht ins Bett und denkt sich: ,Was werde ich wohl träumen? Kommen sie mich abholen oder nicht?'“

Bis ich erfahren habe, dass die Deutschen Roma erschießen, habe ich mich nicht als Rom empfunden. Meine Mutter war Romni, aber sie wanderte nicht, sie war eine einfache Bäuerin und Schneiderin. Mein Vater war Ukrainer, er starb schon während der Hungersnot 1933. Ich wuchs zusammen mit ukrainischen Kindern auf, wir waren zusammen auf der Schule. Wir lebten damals im Dorf Dmitrowka und waren dort die einzigen Roma. Das wussten natürlich alle. Aber auch wenn ich von der Hautfarbe her wie ein typischer Rom aussehe, gab es nie Probleme. Wir waren als Ukrainer registriert, und wir sprachen auch nicht die Sprache der Roma.

Mein Onkel war Schmied, genauso wie mein Großvater. Die Kolchose brauchte Schmiede. Meine Mutter war eine fleißige Arbeiterin, eine Stachanowka. Man mochte uns im Dorf.

Iwan Kornijowytsch Bilaschtschenko als Junger Mann
Iwan Kornijowytsch Bilaschtschenko als Junger Mann

Als die Deutschen einmarschiert waren, wurde ich in ein Büro bestellt, um meine Identität nachzuweisen, weil die Archive abgebrannt waren. Ehrlich gesagt, hatte ich große Angst hinzugehen. Denn die „Volkspost“ hatte schon berichtet, dass die Juden und die Roma ermordet werden. Auf dem Markt erfuhr man, dass da und da Roma erschossen wurden.

Der Mann meiner Schwester, ein Rom, wollte sie 1942 zu sich nach Hause nehmen. Meine Mutter sagte, er solle erst mit seinem Vater hinfahren und sich nach der Lage erkundigen. Auf dem Weg haben die Deutschen sie gefangen und erschossen. Zuvor mussten sie ihre eigene Grube graben. Nur der kleine Bruder überlebte. Er wurde krank im Kopf, weil er das Grauen nicht verkraftete. Ich habe davon einige Wochen später auf einem Kirchfest im Nachbardorf erfahren, wo sich Roma versteckt hielten.

Irgendwann im Jahr 1942 kam der Starost [Dorfvorsteher, Anm. des Projektteams] zu meinem Onkel. Die beiden waren befreundet, sie hatten die gleiche Klasse besucht. Die Gestapo hatte ihn aufgefordert, die Roma und die Juden auszuliefern.

Er hatte das erstmal verzögert, nach dem Motto, wir haben hier keine Roma. Er war aber nicht sicher, ob sie trotzdem kommen und uns abholen. Mein Onkel sammelte dann bei der Verwandtschaft Gold, damit es der Starost zu irgendeinem Obersten in der deutschen Kommandantur bringt. Und so regelte er das. Später haben die Deutschen den Starost erschossen, weil er für die Partisanen arbeitete.

Ehrenurkunde, in der Verwaltung der Oblast Tscherkassy 2008 den Mut und die Opferbereitschaft von Iwan Bilaschtschenko während des Zweiten Weltkrieges würdigte.


Ehrenurkunde, in der Verwaltung der Oblast Tscherkassy 2008 den Mut und die Opferbereitschaft von Iwan Bilaschtschenko während des Zweiten Weltkrieges würdigte.

Als ich 16 wurde, setzten mich die Deutschen in einen Zug nach Deutschland, damit ich dort arbeite. Aber zwischen Kiew und Schytomyr sprang ich heraus. Nach einer Woche Fußweg war ich wieder zu Hause. Dann holte mich die Gestapo und verprügelte mich. Und noch ein Arbeitseinsatz, diesmal bei der Eisenbahn. Als der polnische Bauführer uns warnte, dass die Deutschen unseren Abtransport nach Deutschland planen, sagte ich es meinen Kollegen, und wir liefen in den Wald.

Bald darauf kamen die Unsrigen, und ich wurde gemustert. Der Militärarzt schlug mir auf die Schulter und fragte: „Wirst Du die Deutschen schlagen?“ Was gab es da zu sagen? „Das werde ich!“

Ort des Interviews mit Iwan Kornijowytsch Bilaschtschenko
Ort des Interviews mit Iwan Kornijowytsch Bilaschtschenko
Massengräber von Opfern der deutschen Besatzung nahe Bilozir’ia, Oblast Tscherkassy. Nach Angaben der örtlichen Roma-Gemeinschaft befindet sich darunter auch ein Ort, an dem ortsansässige Roma ermordet wurden.
Massengräber von Opfern der deutschen Besatzung nahe Bilozir’ia, Oblast Tscherkassy. Nach Angaben der örtlichen Roma-Gemeinschaft befindet sich darunter auch ein Ort, an dem ortsansässige Roma ermordet wurden.